Kleine Zeitung Kaernten

Wir hinterlass­en einen bleibenden Eindruck

Marco d’Eramo analysiert, wie der Tourismus die Welt verändert.

- Susanne Rakowitz

Erst im Nachwort rückt der Autor Marco d’Eramo mit der Sprache heraus, was im ersten Teil des Buches ohnehin nicht zu verstecken war, nämlich seine Tendenz, „den Tourismus zum einfachen Sündenbock für jede Verfehlung der Moderne zu machen“. Doch der Italiener hat schnell erkannt, dass wir heutzutage keine Entdecker mehr sein können, weil die Welt von hinten bis vorne abgegrast ist. Aber die Touristenm­asse, die sich wie ein Fischschwa­rm über den Globus treiben lässt, ist ein ewig sprudelnde­r Quell an Erkenntnis­sen. Ganz falsch ist es also nicht, wenn der Autor vom „Zeitalter des Tourismus“spricht. Denn der Tourismus ist nicht nur monetär eine Weltmacht, sondern drückt der Welt in unterschie­dlichsten Schattieru­ngen ihren Stempel auf. In 15 Kapiteln arbeitet er sich an vielen Facetten des Tourismus ab, lässt ausreichen­d Philosophe­n, Soziologen und Kulturwiss­enschaftle­r zu Wort kommen. Und stellt spannende Fragen: War die Grand Tour, die klassische Bildungsre­ise, noch wichtiger Bestandtei­l des kulturelle­n Kapitals, dient das Reisen heute überhaupt noch einem Bildungszw­eck?

Marco d’Eramo, Journalist und Gründungsm­itglied der Zeitung „Il Manifesto“, zeigt auch auf, was Tourismus zerstören kann, und richtet den Blick auf jene Städte, die von Touristen geradezu überrannt werden. Wo ganze Viertel durch Wohnungsve­rmietung aussterben, wenn die Infrastruk­tur für das tägliche Leben flöten geht. Denn welcher Tourist braucht schon einen Schuster? „Als Ort zum Wohnen und Leben wird die Touristens­tadt für den Einheimisc­hen mit der Zeit unlebbar.“Auch eine kleine Hausaufgab­e für den nächsten Urlaub empfiehlt sich: Wie oft halten wir Ausschau nach dem scheinbar Typischen eines Landes? Und sind wir nicht auch genau damit zufrieden, weil es unsere – von der Idee eines Landes konstruier­ten – Sehnsüchte stillt? Der Mensch, er ist ein feines Versuchsti­er. Gerade im Urlaub ist er ein offenes Buch, das vielleicht hin und wieder den Reiseführe­r beiseitele­gen sollte. Soll etwas Schlimmere­s passieren, als dass sich der Blickwinke­l ändert.

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Marco d’Eramo. Die Welt im Selfie. Eine Besichtigu­ng des touristisc­hen Zeitalters. Suhrkamp, 362 Seiten, 26,80 Euro.

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