Eine Reise ins wilde Österreich
Finale mit mehreren Favoriten: Pointiert und nachdenklich endeten gestern die Lesungen des 42. Bachmann-Bewerbes. Das Zittern beginnt.
Da verstand Klaus Kastberger keinen Spaß: „Dieser Text ist blöd. Ich gestehe ja zu, dass man das in Zürich und Berlin komisch finden kann, aber wir Österreicher haben diese Klischees schon satt!“, wetterte er gestern Vormittag über den parodistischen Beitrag des Deutschen Stephan Groetzner, den Hildegard Keller als „Groteske, in der Thomas Bernhard ein wenig irrlichtert“lobte. Stefan Gmünder, der den Autor eingeladen hatte, zeigte Verständnis für den „Furor“seines Jurykollegen, betonte aber, dass er den Text „auch gerne ge- hätte, wenn es um die Schweiz ginge“. Diese „Reise ins wilde Österreich“(Gmünder) amüsierte und polarisierte jedenfalls gleichermaßen.
Nach der Mittagspause wurde es wieder ernst. Die im deutschen Solingen geborene, türkischstämmige Autorin Özlem Özgül Dündar schilderte vier Mütter und ihre Geschichten – „eine Trauer-Litanei“(Hubert Winkels), eine mörderische Sprachmaschinerie“(Gmünder), bei der die Assoziationen zu einem rechtsextremen Brandanschlag in Solingen vor 25 Jahren nahe- Die Geschichte rund um Täter- und Opfer-Mütter ließ Insa Wilke Parallelen zu Texten der Vortage ziehen: „Wie ist es mit dem, was weitergegeben wird durch Generationen?“Eine Frage, die auch bei Bov Bjergs Vater-Sohn-Geschichte gestellt wurde oder beim Text der Schweizerin Martina Clavadetscher, in der eine Tote zur ihrer Enkelin sprach. „Wieder eine Tote, die spricht“, hatte zuvor Hildegard Keller auf eine andere Parallele zwischen den Beiträgen von Clavadetscher und Dündar verwiesen. Weniger angesprochen hatte sie hinlesen gegen die erste Lesung am Samstag. Jakob Noltes „Tagebuch einer jungen Frau, die am Fall beteiligt war“, war für Keller eine „Nicht-Erzählung“, während Stefan Gmünder das „Tagebuch einer Selbstvergewisserung“durchaus reizvoll fand. Von „Gelassenheit“(Kastberger) und „rasendem Stillstand“(Wilke) sprachen die Jurorenkollegen.
Überladen fand hingegen ein Großteil der Jury die „burleske Räuberpistole“(Winkels) des als letzter Antretenden, Lennardt Loß, bei der ein in die DDR geflüchteter Ex-RAF-Terliegen.
rorist mit einer Pistolenkugel im Körper auf dem Weg nach Buenos Aires mit dem Flugzeug abstürzt. Klaus Kastberger fand ihn zwar nicht so „blöd“wie den Vorvorgänger Stephan Groetzner, dennoch winkte er ab: „Ich glaube diesem Text kein Wort!“
Viel Glaub- und Preiswürdiges ist dennoch beim Wettlesen zu hören gewesen. Und so hat heute die Jury die Qual der Wahl. Ungewohnt dürfte das für die beiden Neuzugänge in der Kritikerrunde sein: Nora Gomringer, die Bachmann-Preisträgerin von 2015, kennt das Procedere von der anderen Seite, hat sich aber bei ihrer Premiere ebenso gut geschlagen wie die Literaturkritikerin Insa Wilke. Hoffnungen auf einen Preis dürfen sich Bov Bjerg („Serpentinen“), seine Landsleute Stephan Lohse („Lumumbaland“), Joshua Groß („Flexen in Miami“), Stephan Groetzner („Destination: Austria“), und Ally Klein („Carter“), machen. Auch die Ukrainerin Tanja Maljartschuk („Frösche im Meer“), und die Deutsch-Türkin Özlem Özgül Dündar („Und ich brenne“), könnten auf der Liste stehen.