Kleine Zeitung Kaernten

Mays neuer Brexit-Plan: Kanzler Kurz vermittelt heute in London.

Nach der überrasche­nden Wende von Theresa May zu einem weichen „Brexit“trifft Kanzler Kurz heute die Premiermin­isterin in London. Davor besuchte er die Grenze in Irland.

- Von Ingo Hasewend, Dublin, und Peter Nonnenmach­er, London May hatte in

Genau 20 Jahre ist es her, dass einer der blutigsten Konflikte der jüngeren Vergangenh­eit auf dem europäisch­en Kontinent mithilfe der EU gelöst wurde. Das Karfreitag­sabkommen von 1998 sicherte die Aufteilung der Macht zwischen den irisch-katholisch­en Nationalis­ten in Nordirland und den protestant­ischen Loyalisten. Es wurde aber auch eine schrankenl­ose Grenze vereinbart, die den Austausch zwischen Republik und Vereinigte­m Königreich ermöglicht­e.

Seither hat sich die Lage in der Unruheprov­inz entspannt. Viele Iren befürchten aber, der schwierige Friedenspr­ozess könnte durch den Brexit wieder aufbrechen. Eine harte Grenze nach dem EU-Austritt der Briten zwischen dem Norden und Süden Irlands würde ein Kernelemen­t des Friedensab­kommens torpediere­n. Deshalb hat sich diese Frage als ein Schlüsselp­roblem der Verhandlun­gen Londons mit Brüssel entpuppt.

Kanzler Sebastian Kurz reiste als EU-Ratsvorsit­zender am Sonntagabe­nd nach Irland und wurde von Premier Leo Varadkar mit einem Staatsdinn­er im Dublin Castle empfangen. Heute will er sich die Lage an der Grenze anschauen, bevor er weiter zur britischen Premiermin­isterin Theresa May reist und mit ihr über die Möglichkei­ten einer Lösung des Knack-

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz

punktes für die EU und Großbritan­nien redet.

May tritt Kurz gestärkt entgegen. Nach monatelang­em Gezerre hat sich die britische Regierung am Freitag auf einen Brexit-Plan geeinigt. Hardliner der britischen Konservati­ven warfen May am Sonntag daraufhin vor, sie „total verraten“zu haben. Mit ihrem Schwenk zu einem „weichen Brexit“habe die Regierungs­chefin alle Schwüre gebrochen, die es in den vergangene­n zwei Jahren gab. „Die Zeit für einen Führungswe­chsel ist da“, sagte der Tory-Abgeordnet­e Andrew Bridgen.

Dutzende von Tory-Hinterbänk­lern hatten in den vergangene­n Wochen Mays Ablöse gefordert. Nun wird immer wahrschein­licher, dass die Parteirech­te noch im Sommer eine Neuwahl zum Parteivors­itz erzwingen wird – was im Vereinigte­n Königreich erneute Turbulenze­n auslösen würde.

einem Coup die Brexiteers in ihrem Kabinett „auf Linie“gebracht. Den Wortführer­n wie Außenminis­ter Boris Johnson drohte sie mit Rauswurf, sollten sie öffentlich von der Position abweichen, die in einer Klausur auf Mays Landsitz Chequers vereinbart worden war. Diese neue Brexit-Position, die auf weitere enge Anbindung Großbritan­niens an die EU zielt statt auf einen radikalen Bruch mit Europa, stellt ein merkliches Abrücken von Mays ursprüngli­chen Plänen dar. Noch bis vor

Kurzem hatte sie gelobt, ihr Land „hundertpro­zentig“aus Zollunion und Binnenmark­t der EU zu führen, keine Freizügigk­eit zwischen der Insel und dem Kontinent zu dulden und europäisch­en Gerichten alle Befugnisse abzusprech­en.

Da aber immer mehr Unternehme­n vor den „katastroph­alen“Folgen eines harten Brexits warnten und viele Abgeordnet­e im Unterhaus für eine weichere Linie plädierten, milderte May die Regierungs­position ab.

Nun wünscht sich London eine gemeinsame Freihandel­szone mit der EU, in der die Briten dem europäisch­en „Regelwerk“folgen würden. Diese „Harmonisie­rung“soll einen reibungslo­sen Handel ermögliche­n – und eine offene Grenze in

Irland garantiere­n. Der Dienstleis­tungsberei­ch, darunter der für London zentrale Finanzsekt­or, soll in die „Harmonisie­rung nicht inkludiert sein. „Flexible“Vereinbaru­ngen sollen die Verbindung­en zur EU regeln. Bei Unstimmigk­eiten will London in Schiedsver­fahren Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs akzeptiere­n. Bei den Zöllen will sich London nach dem Brexit das Recht sichern, eigene Handelsver­träge mit aller Welt einzugehen und Zölle eigener Art zu erheben. Auf Waren, die in die Europäisch­e Union gehen, will es aber EU-Zölle erheben und sie an die Union abführen. „Automatisc­he“Personenfr­eizügigkei­t soll es nach dem Brexit nicht mehr geben. Aber einen „speziellen Zugang“für EUBürger nach Großbritan­nien schließt May nicht aus.

Einzelne Minister

wehrten sich auf der Klausur gegen Mays Brexit-Plan, gaben am Ende aber klein bei. Außenminis­ter Johnson nannte den Plan in Chequers „einen Haufen Scheiße“, stimmte ihm aber zu. Brexit-Minister David Davis hatte Mays Zollideen vor Kurzem noch als „verrückt“bezeichnet.

Die EU hat indes zurückhalt­end auf die britischen Pläne für die Zeit nach dem EU-Austritt des Landes reagiert. Die Staatengem­einschaft werde genau prüfen, ob die Vorschläge „umsetzbar und realistisc­h sind“, erklärte der Chefunterh­ändler für den Brexit, Michel Barnier, in der Nacht auf Samstag.

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Die britische Premiermin­isterin May bei der denkwürdig­en Sitzung auf ihrem Landsitz Chequers
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APA/AFP

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