Der Kanzler und sein Vize waren vorab informiert
Alexander Van der Bellen ist kein Thomas Klestil, der der Regierung in die Parade fährt. Mittwochmittag läuteten jeweils bei Bundeskanzler Vizekanzler
und Wirtschaftsministerin Schramböck das Telefon. Am Apparat war der Bundespräsident, der darüber informierte, dass er fünf Stunden später in aller Öffentlichkeit bei Ceta die Pausetaste drücken würde. Nach einer Schrecksekunde ging man zur Tagesordnung über, von einem Veto war keine Rede. Eine Staatskrise sieht anders aus. eit der Angelobung vor bald sieben Monaten hat Van der Bellen nur selten in aller Öffentlichkeit regierungskritische Duftmarken gesetzt. Beim Gewerkschaftsrat ließ er mit der Bemerkung aufhorchen: „Bleiben Sie stark und selbstbewusst und setzen Sie sich dafür ein, dass vom Wohlstand alle profitieren.“Die neuen Sozialpartnerchefs empfing er demonstrativ in der Hofburg, ÖGB-Chef Wolfgang Katzian wartet immer noch auf einen Termin beim Kanzler. Warum Van der Bellen bei Ceta auf die Bremse steigt, darüber kann nur spekuliert werden. Laut Umfragen steht eine Mehrheit der Bevölkerung dem Abkommen kritisch gegenüber, auch der Boulevard lehnt Ceta ab. „Er
Shat ein Problem mit seiner Klientel, die ihn gewählt hat“, meint hingegen ein Insider. In seiner Autobiografie hatte Van der Bellen jedoch angedeutet, dass er beim Freihandel eine andere Linie vertritt als die in dem Punkt fundamentalistisch agierenden Grünen. ass Türkis-Blau nicht Van der Bellens Wunschkoalition ist, liegt auf der Hand. In seiner nüchternen Abwägung kennt er allerdings die Grenzen seiner Macht – und nimmt zur Kenntnis, dass Kurz und Strache eine Mehrheit im Parlament besitzen. Van der Bellen und Kurz pflegen ein von Respekt getragenes Verhältnis, man trifft sich regelmäßig und telefoniert viel. Auch Strache und die anderen Regierungsmitglieder gehen in der Hofburg ein und aus. ie Gestaltungsmacht des Bundespräsidenten liegt hinter der Tapetentür – in der Vertraulichkeit des Zwiegesprächs. In den Regierungsverhandlungen hat Van der Bellen eine strikte proeuropäische Linie, die parteipolitische Trennung von Innen- und Justizministerin oder auch die Berichtspflicht der Geheimdienste an den Kanzler (bisher Innenminister) durchgesetzt. Letzter Coup: An Van der Bellens Veto ist die Ernennung des Boulevard-Kolumnisten Tassilo Wallentin zum Verfassungsrichter gescheitert.
DD