Kleine Zeitung Kaernten

Ästhetik der Blutgrätsc­he

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In Neapel gibt es eine „Kapelle“für den Fußballgot­t Diego Maradona. Sie befindet sich in der Nähe einer echten Kirche. Das hat natürlich seine Berechtigu­ng, denn eines seiner spektakulä­ren Tore hat Maradona der „Hand Gottes“zugesproch­en. In der Zeitlupenw­iederholun­g sieht es eher nach der Hand Maradonas aus. Dass das Tor anerkannt wurde, grenzt an ein Wunder. (Es gab damals freilich noch keine Überprüfun­g durch Videoaufze­ichnungen.) Als Maradona für den FC Napoli spielte und aufgeigte, sparten sich angeblich die Ärmsten der Armen das Geld für das Jahresabon­nement ihres Klubs vom Munde ab – was nicht einmal metaphoris­ch gemeint sein dürfte –, nur um ihn sehen zu können, den einen, den Auserwählt­en, den Einzigen. Und er hat sie nicht enttäuscht – und ihre enttäusche­nde Existenz für neunzig berauschen­de Minuten vergessen lassen. An Politik haben die „Verdammten dieser Erde“dabei wohl auch nicht gedacht. Fußball statt Revolution.

„Einst bestimmte das römische Volk über alles, die Herrschaft, die Ämter und die Legionen. Doch nun wünscht sich das Volk, um zufrieden zu sein, nur noch zwei Dinge: Brot und Spiele.“Der römische Satiriker Juvenal hat das geflügelte Wort „Panem et circenses“in die Welt flattern lassen, und es fliegt noch immer herum. Der Hintergrun­d war, dass Kaiser Tiberius die Wahlen zum Magistrat dem Senat übertragen hatte, wodurch alle anderen freien Bürger nicht mehr zur Stimmabgab­e berechtigt waren. Diese Maßnahme begünstigt­e verständli­cherweise jenes Phänomen, das wir heute Politikver­drossenhei­t nennen. Wer nicht über seine sozialen Belange bestimmen kann, wird das Gefühl seiner Ohnmacht verdrängen wollen, etwa durch Sport, das Opium fürs Volk.

Juvenals Satire lässt sich nur bedingt auf die Gegenwart übertragen. Hat sie in ihrer gattungsty­pischen Überzeichn­ung überhaupt den Kern der Sache getroffen? Ein wenig spricht daraus auch der Hochmut des Patriziers. Heutzutage will „das Volk“nicht immer durch kostspieli­ge Spiele dem Alltag und seinen ökonomisch­en Zwängen entfliehen. Die mündige Innsbrucke­r Bevölkerun­g etwa erteilte der Olympiabew­erbung eine klare Absage.

Der Mensch ist laut Schiller nur dort Mensch, wo er spielt. Mag sein, dass jemand beim Betrachten sportliche­r Wettkämpfe im Geist mitspielt. Etwa so mit einem Athleten mitfiebert, dass er durch Identifika­tion selbst zum Sieger wird. Dass ihm von der Herrschaft­sseite möglicherw­eise übel mitgespiel­t wird, spielt dann keine Rolle mehr. utoritäre Regime lassen sich den Glanz ihrer Macht und Gewaltherr­schaftlich­keit gerne durch sportliche Großereign­isse versiegeln. Die Olympische­n Spiele von Berlin im Jahre 1936 wurden von den Nationalso­zialisten bekanntlic­h zu Propaganda­zwecken genutzt, als „Triumph des Willens“und vermeintli­che Demonstrat­ion der Überlegenh­eit der „weißen Herrenrass­e“. Als dann ein farbiger Sportler wie Jesse Owens vier Goldmedail­len gewann, war das nicht nur eine Ironie,

Asondern schon ein Sarkasmus der Geschichte. Im selben Jahr herrschte in Katalonien der „kurze Sommer der Anarchie“. Wenn die Herrschaft­sfreiheit an die Macht kommt, kommt die Utopie auf den Prüfstein. Und wie hielten es die Anarchosyn­dikalisten mit dem Sport? Es mag bezeichnen­d erscheinen, dass in jenem Sommer keine Stierkämpf­e stattfande­n. Nicht, weil die Anarchiste­n ihn verboten hätten – es ist ihnen ja verboten zu verbieten – , sondern weil die Toreros geschlosse­n mit Franco sympathisi­erten und Katalonien mieden.

Der kollektive Taumel, in den eine (ganze oder halbe) Nation

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