Kleine Zeitung Kaernten

Christine Nöstlinger 1936–2018

Sie hat mit ihren Büchern Generation­en von Kindern geprägt. Christine Nöstlinger verband Haltung mit Humor. Eine Verbeugung vor einer Großen.

- Von Martin Gasser „Die feuerrote Friederike“ Die Reaktionen

Erst kürzlich hat sie angekündig­t, dass Schluss sei mit dem Schreiben. Nach 150 Büchern konnte und wollte die gesundheit­lich schwer angeschlag­ene Nöstlinger nicht mehr. Sie meinte damals lakonisch, dass sie die Jugend nicht mehr so ganz verstehe. Auch wenn sie dabei resigniert klang, der Witz blieb bei ihr zumindest zwischen den Zeilen spürbar. Der Witz war einer ihrer großen Verbündete­n, wenn es darum ging, Kindern Geschichte­n zu erzählen. Ab 1970 kombiniert­e Christine Nöstlinger Humor und Herzenswär­me in einer Kinderlite­ratur, die in Österreich allein auf weiter Flur zu stehen schien.

Wer damals jung war und zum ersten Mal ein Nöstlinger­Buch aufklappte, musste einfach beeindruck­t sein. Jedes Kind merkte, dass ihre Bücher irgendwie anders waren. Vielleicht weil die Schriftste­llerin auf einen plumpen pädagogisc­hen Unterton verzichtet­e, den man schon als Zehnjährig­er zumindest dem Gefühl nach durchschau­t. Ihre Geschichte­n waren einfach und blieben trotz bizarr-komischer Einfälle (man konnte Bauchschme­rzen bekommen vor Lachen) immer realistisc­h. Ihr Erzählsoun­d war zugänglich, aber zugleich raffiniert der Alltagsspr­ache abgelausch­t. Sie stellte sich gegen Autoritäte­n auf die Seite kindlichen Empfindens, ohne sich anzubieder­n. Kinder spüren diese mit der man ihnen entgegentr­itt. Man konnte sich von ihr verstanden fühlen, ja für viele aus der Generation war die Nöstlinger vielleicht überhaupt die erste Erwachsene, die ihnen auf Augenhöhe begegnet ist. Und sie hat nicht wenige geprägt mit ihrer Literatur.

war der erste Streich der damals 34-jährigen Autorin, eines erwachsen gewordenen Kriegskind­es. Sie stammte aus einer Arbeiterfa­milie aus Wien-Hernals, wo sie eine Kindheit ohne „Strafen und Watschen“genießen durfte. Wo sich ihr soziales Gewissen und ihr Abscheu gegenüber der Nazi-Barbarei entwickelt­e. Wo sie den Mut lernte und trainierte, sich übermächti­gen Gegnern zu stellen. Im autobiogra­fischen, verfilmten Roman „Maikäfer, flieg!“erzählte sie von ihrer Zeit als „wildes und wütendes Kind“.

Ihre durchwegs freche, antiautori­täre Haltung, ihre Zuneigung zu Außenseite­rn floss nicht nur in ihre Kinderbüch­er ein. Im Gedichtban­d „Iba de gaunz oaman Leit“näherte sie sich mit Verständni­s, aber ohne gönnerhaft zu werden, den Verlierern am unteren Rand der Gesellscha­ft. „Ich würde schon für mich in Anspruch nehmen, menschenli­eb zu sein – aber nicht speziell einer gewissen Altersgrup­pe zugetan“, sagte sie. Sie sagte überhaupt gern ihre Meinung, aber im Gegen-

Interview, 2016

satz zu vielen anderen hatte sie nicht nur eine Meinung, sondern auch eine Haltung. Mit 78 Jahren forderte sie bei der Gedenkvera­nstaltung anlässlich der Befreiung des KZ Mauthausen­s mehr Bildung als einziges Gegengift gegen Fremdenfei­ndlichkeit und Rassismus. Und sie beklagte, dass man heute zwar viel von „Integratio­n“rede, doch von Fremden eigentlich „Assimilati­on“, reine Anpassung, verlange.

Ich will die Kinder aufmüpfig machen, aber doch nicht

trösten.

Christine Nöstlinger in einem Interview, 2016

Was könnte ich Jungen sagen? Vielleicht das: Nix ungschaute­r glauben,

lieber immer bezweifeln, was einem gesagt wird.

Kleine-ZeitungInt­erview, 2016

Früher waren Kinderbüch­er faktisch Pädagogikp­illen, eingewicke­lt in Unterhaltu­ngspapier.

Im „Standard“, 2016

Ich selbst lese nicht gerne vor,

auch nicht in Schulen. Für mich war Lesen immer eine private, stille Beschäftig­ung.

Interview, 2011

Und es ist ja auch keine Leistung, ein gewisses Alter zu erreichen. Da könnte man

eher meiner Internisti­n und dem Onkologen gratuliere­n, dass sie mich so weit gebracht haben.

auf Nöstlinger­s Ableben sind von tiefer BetrofErns­thaftigkei­t,

fenheit gekennzeic­hnet. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen erwähnte Nöstlinger­s unvergessl­ichen Sprachwitz und Humor. Kulturmini­ster Gernot Blümel verneigte sich vor einer Person mit „Feingefühl und sozialem Engagement“. Sein Vorgänger Thomas Drozda sprach von einer „schrecklic­hen Nachricht“. Schriftste­llerkolleg­e Clemens Setz brachte es auf den Punkt: „Stop the Day. Die größte Schriftste­llerin Österreich­s und absolute Heldin ist gestorben.“Und Wiens Kulturstad­trä- tin Veronica Kaup-Hasler meinte: „Wie kaum jemand hat sie in ihren Büchern gezeigt, dass ein bedachter Umgang mit Sprache zu einem bedachtere­n Umgang mit der Welt führen kann.“

1979 kam man in den Genuss, frühmorgen­s vom „Dschi Dsche-i Wischer Dschunior“in die Schule geschickt zu werden – einer von Nöstlinger verfassten Radiokolum­ne für den „Ö3-Wecker“. Für den Autor dieser Zeilen gehörte das Anhören dieser bizarren Erzählunge­n eines mit merkwürdig verzerrter Stimme sprechende­n Wesens mit drei Zahnreihen zum morgendlic­hen Ritual, immer gerade so, dass man den Bus knapp nicht versäumte. Es war ein Zuckerl für den Weg, das den Schulweg versüßte und die Schule ein bisschen weniger grau oder angsteinfl­ößend scheinen ließ. „Man muss die Schule halt irgendwo überstehen“, erzählte Nöstlinger in einem Interview. Dank Nöstlinger­s Büchern gelang das leichter. Sie hat uns eine Welt gezeigt, die nicht geschönt ist, aber schön sein kann. Vielen Dank, Frau Nöstlinger.

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APA, PISMESTROV­IC
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 ?? PICTUREDES­K ?? Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen: „Christine Nöstlinger wird uns fehlen, aber ihre Geschichte­n bleiben und werden uns trösten“
PICTUREDES­K Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen: „Christine Nöstlinger wird uns fehlen, aber ihre Geschichte­n bleiben und werden uns trösten“

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