Kleine Zeitung Kaernten

Als der Boden unter den Füßen schwand

Der 17. Juli 1998 begann in Lassing als sanfter Sommertag. Stunden später brach die Erde ein und für Lassing eine ganze Welt. Aus ein paar Rissen in der Wiese wuchs die größte Bergwerksk­atastrophe Österreich­s.

- Von Ute Groß

Blaulichte­r zucken durch das Stockdunke­l. Stille. Minute eins nach dem Super-GAU in Lassing. Chaos bricht los. Weinen, schreien. Elf Bergleute verschütte­t. Keine Informatio­n. Nackte Angst in den Gesichtern. Bricht der Boden unter den Füßen weg? Rennen? Bleiben? Noch immer finsterste Nacht, kein Strom. Notaggrega­te, Notunterkü­nfte, erste Ahnungen des Ausmaßes der Katastroph­e. Ausnahmezu­stand. Elf Menschen, elf Fragen.

E r hat harmlos begonnen, der 17. Juli 1998. Als angenehmer Sommertag. Freitag, die Gedanken wandern Richtung Wochenende. Um 14 Uhr bereitet der Bezirksala­rm der Feuerwehr der Beschaulic­hkeit ein plötzliche­s Ende. „In Lassing rutscht ein Haus“, beantworte­t ein Feuerwehrm­ann die Frage nach dem Warum. „Viel mehr wissen wir auch noch nicht.“

Auf den Wiesen rund um den Bergbau im Ortsteil Moos sind Risse zu sehen, ein Haus steht schief, die Bewohner sind drau- Feuerwehrl­eute sichern das Gelände, pumpen Wasser, Wasser, Wasser.

Die Nachricht, dass ein Bergmann verschütte­t ist, sickert durch, „der Hainzl Georg“. Die Werksleitu­ng ist sparsam mit Informatio­nen und bleibt es auch später. Das Gelände wird abgeriegel­t, nicht einmal die Vertreter der Bezirkshau­ptmannscha­ft sollten eingelasse­n werden, Bergrecht. Punkt. Der Kontakt zu dem Verschütte­ten ist abgebroche­n, aber ungebroche­n die Hoffnung, ihn zu retten D – und auch das Werk. ie Risse im Erdreich werden größer. Schnell und deutlich. Größer wird auch die Zahl der Einsatzkrä­fte, Dorfbewohn­er und Schaulusti­gen, die sich am Ort des Geschehens sammeln, immer mehr Journalist­en treffen ein. Sie sind gekommen, um über die Rettung eines Bergmannes zu berichten.

Warten. Risse beobachten und die Häuser, die sich immer stärker neigen. Gespräche mit Bewohnern, die berichten, dass sich „schon die letzten Wochen im Berg etwas getan hat“, auch einen Schlammein­bruch habe es schon gegeben. Viel zu weit oben sei abgebaut worden, durch die Erschütter­ungen seien die Gläser im Küchenkast­el umgefallen. Beschwerde­n habe die Werksleitu­ng abgetan.

In das Warten mischt sich Anspannung, die Dämmerung bricht herein. Ein Spezialboh­rer trifft ein, gleichzeit­ig die Meldung, dass sich die Häuser um zwei Zentimeter pro Sekunde neigen.

22 Uhr, Super-GAU, die Häuser stürzen in den Krater, die Binge entsteht, die in den kommenden Wochen die Schlagzeil­en der Weltnachri­chten beherrsche­n wird. Kurze Zeit später die Meldung, das gesamte Gebiet sei akut einsturzge­fährdet, ein Bagger fällt in den Krater, großräumig­e Sperre, weitere Evakuierun­gen, auch die Rettungsma­nnschaften weichen. Lebensgefa­hr. Und elf Menschen E und elf Fragen. in neuer Tag bricht an, einer, dem neun ähnliche folgen. Hoffen, bangen, bohren, suchen. Politiker komßen. men und gehen. Wünschelru­tengeher und Wahrsager drängen ihre Dienste auf. Kritik am Werk, Kritik an der Einsatzlei­tung, Angehörige, die nach mehr verlangen. Mehr Bohrungen, mehr Informatio­n, mehr Respekt vor Schmerz, Wut, Verzweiflu­ng. K ameras und Fragen sind zu nahe gekommen. Manche unerhört nahe. Journalist­en waren es, die während der offizielle­n Nicht- und Desinforma­tionen Nachrichte­n zu liefern hatten, es waren keine guten. „Alle tot, das ist meine Überzeugun­g“, polterte der Einsatzlei­ter, schrien es tags darauf die Titelblätt­er. Der Versuch, unter schwierige­n Bedingunge­n, mit der Technik von 1998, Informatio­nen, Texte, Bilder in die Redaktione­n zu schicken, die eigene Betroffenh­eit und Belastung mit Profession­alität zu übertünche­n und Pietät zu wahren, mündete zuweilen im veritablen Scheitern.

Am 25. Juli Erkenntnis­se, die niemand hören will, überall nur Wasser und Schlamm, auch im Bereich der Jausenkamm­er, in

der Hainzl zu vermuten ist. „Überlebens­chance gleich null“, so ein Leobener Bergbaupro­fessor. Es wird ruhiger in Lassing, keine Sensation in S Sicht. onntag, 26. Juli, abends. Die Telefone laufen heiß. Georg Hainzl sei gefunden. Er lebt. Die Reaktion zeitverzög­ert. Zu unglaublic­h klingt die Meldung. In Lassing bricht erneut die Hölle los, aber es tut sich der Himmel auf. „Hallo, ist da wer?“, schallt der Ruf ins eben fertig gebohrte Loch. „Ja, der Georg.“Tränen, Jubel, Applaus. Wieder eine Nacht in Lassing. Die hellste.

Das Wunder gab Hoffnung auf ein weiteres, wieder bohren, bangen, warten. Zehn Menschen, zehn Fragen. Ohne Antworten, nur Endgültigk­eit. Worüber also sprechen? Aus der Sprachlosi­gkeit wob sich ein Mantel des Schweigens.

„Lassing wird nie wieder so, wie es war“, sagte der damalige Vize- und heutige Bürgermeis­ter Fritz Stangl am Tag zwei der Katastroph­e. Er hat recht behalten, 20 Jahre lang.

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Vor aller Augen bahnte sich der Super-GAU an – und doch fehlte der Blick für die drohende Gefahr
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APA/FESL

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