„Anstrengen, sonstwerdenwir zum Museum“
INTERVIEW. August-Wilhelm Scheer ist erfolgreicher Unternehmer und gilt als der deutsche Pionier für Wirtschaftsinformatik. Der Blick des 76-Jährigen bleibt nach vorne gerichtet.
Könnte es Branchen geben, an denen der Sturm der Digitalisierung vorbeiziehen wird?
AUGUST-WILHELM SCHEER:
Nein, aber Branchen sind unterschiedlich betroffen. In der ersten Wellen waren es jene, die Informationen herstellen, also die Medien. In der zweiten Welle sind es die Konsumgüterindustrie und Handelsunternehmen. In der dritten Welle kommen Unternehmen dran, die materielle Produkte herstellen.
Etwa Maschinen und Autos.
Das wird für Europa zu einer großen Herausforderung, weil ja die zweite Welle verloren ging, hier bestimmen die Plattformunternehmen. Bei der dritten Welle geht es für Europa ans Eingemachte, im Industriesektor sind wir noch sehr stark.
Es gibt ja genügend Beispiele, wo es sogar sehr etablierte Unternehmer nicht geschafft haben. Dann, wenn erfolgreiche Unternehmen zu lange an ihrem Geschäftsmodell festhalten. Aber die betroffenen Branchen sind spät, aber doch, aufgewacht.
Was machen wir falsch?
Wir sehen Veränderungen viel zu angstvoll, sind in der Verteidigungshaltung. Wir neigen
Zur Person
war einer der ersten deutschen IT-Professoren. Er machte das Saarland zu einem Innovationszentrum und gründete eine Vielzahl von Unternehmen, u. a. die lange börsennotierte Scheer IDS. Er war Präsident des Branchenverbandes Bitkom. 2017 Aufnahme in die „Hall of Fame der deutschen Forschung“, als einer von nur 20 Forschern. Scheer hat einen Wohnsitz am Wörthersee.
perfekte Systeme zu entwickeln – das bedeutet aber, dass wir zu spät kommen. Wir sind nur mehr Schiedsrichter, aber kein Mitspieler mehr.
Was muss die europäische Industriepolitik jetzt tun? Zuerst einmal die Infrastruktur verbessern – Breitband und 5G. Das wird enorm viel Geld verschlucken. Die Ausbildung in den neuen Technologien muss verstärkt werden, denn Ausbildung ist wichtiger als Forschung. Und wir müssen Forschung mit Ausbildung und Industrie zusammenbringen.
Werden mit der Künstlichen Intelligenz die Karten im IT-Zeitalter neu gemischt?
Es geht um die Anwendung – da haben wir jetzt eine Chance, weil Anwendungen für Künstliche Intelligenz in die Produkte „hineingehen“. Wir können die nächste Generation der intelligenteren Produkte – etwa Geräte und Autos mit KI wesentlich mitbestimmen.
Und bei der Blockchain?
Das sind wir noch am Anfang. Bei solchen Hypes ist immer fraglich, was davon übrig bleibt. Der Wunsch war ja, man könne durch Blockchain Silicon Valley plattmachen, weil man die Monopolisten durch neue dezentrale Struktur aushebelt. Aber man dachte auch schon mal, das Internet wäre eine große Demokratisierungswelle, aber wir bekamen große Monopolisten. Bisher gab es noch keine überdazu, zeugenden Blockchain-Anwendungen außerhalb des Finanzsektors – wir brauchen dringend Erfolgsbeispiele, die einen Schub geben.
Sie warnen vor dem Verfall der IT-Kompetenz in Europa? Wir sind ja schon im Hintertreffen. Das liegt aber nicht an unseren Genen, sondern, dass wir uns falsch organisieren und falsche Motivationen haben. Die Politik muss mehr Verantwortung übernehmen und Industriepolitik ernst nehmen.
Machen Ihnen die Chinesen auf lange Sicht Angst? Nein, sie werden uns zumindest noch als Touristen hier helfen. Wollen wir aber nicht zum Industriemuseum und Disneyund
land werden, müssen wir uns anstrengen. Ich etwa will nicht nur Bücher schreiben, wie schlecht alles ist, sondern mit meinen Unternehmen mitgestalten.
Was müssten die Großen wie VW oder Daimler jetzt machen? Der Erfolg liegt in der Vernetzung mit der Start-up-Szene, die in der Regel nur sehr kleine, schmale Ideen verfolgen. Die Großen müssen sich mit einer Vielzahl solcher Unternehmen vernetzen und bestehende Produkte digitalisieren.
Sie haben einmal gesagt, Sie glauben nicht an Business-Pläne. Wieso eigentlich? Weil ich noch nie erlebt habe, dass einer so ausgeführt wird, wie er erdacht wurde. Es ist ja gerade ein Vorteil von Startups, dass sie schnell merken, ob etwas nicht funktioniert und dann ihre Pläne ändern.
In Österreich wird es ab September leichter möglich, Arbeitnehmer 12 Stunden am Tag arbeiten zu lassen – können Sie dem etwas abgewinnen? Natürlich klingt der Begriff 12Stunden-Tag zunächst erschreckend. Aber wenn man genauer hinschaut, dann ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit wichtig. Noch wichtiger ist allerdings; Wir wird die Arbeit der Zukunft organisiert sein und wie sehen Unternehmen der Zukunft aus?
Wo sehen Sie Europa in Zukunft – was kann uns noch passieren? Passieren kann uns viel, weil wir zum Teil satt sind und eher ans Verteilen denken als die Ärmel hochzukrempeln. Die junge Generation ist eher auf ihre Rechte ausgerichtet und die Work-Life-Balance. Wir sehen aber, dass unsere Konkurrenten hungriger sind und sich nicht scheuen, mehr zu arbeiten. Ein reines Verwalten unseres Wohlstands wird daher nicht genügen. Ich sehe aber in Europa auch eine Aufbruchsstimmung, junge Leute kommen jetzt ans Ruder.