Kleine Zeitung Kaernten

Liebe, die rastet

Tankstelle statt Tinder: Hans Weingartne­r lässt zwei junge Menschen 143 Minuten über das Leben und die Liebe reden. Fazit: der schönste Film dieses Sommers.

- Von Julia Schafferho­fer

Abgewetzte­s Shirt, Rucksack, verzweifel­ter Blick: Auf Tinder wäre Jan (Anton Spieker) wohl nach links weggewisch­t worden, wie er da – von seiner Mitfahrgel­egenheit bestellt und nicht abgeholt – an der Tankstelle steht. Und Fremde anbettelt, ihn mitzunehme­n Richtung Baskenland, wo er endlich seinen, wie er erst seit Kurzem weiß, leiblichen Vater kennenlern­en will. Zum Glück hat der österreich­ische Regisseur Hans Weingartne­r („Die fetten Jahre sind vorbei“) mit „303“aber einen „Anti-Tinder-Film“gemacht. Also klaubt ihn Jule (Mala Emde) mit ihrer hinreißend­en Retro-Campingsch­achtel, einem Mercedes-Hymer 303, auf. Ihr Ziel: Portugal. Dort lebt ihr Freund, der noch nicht weiß, dass sie schwanger ist.

Beide Studierend­en haben also ihre Päckchen für diesen Trip zu tragen. Als Jan gleich zu Beginn in ein Konversati­onsfettnäp­fchen tritt, wirft ihn Jule bei der nächsten Möglichkei­t raus. Aber das Schicksal führt die beiden konträren Seelen wieder zusammen – richtig, an einer Raststätte!

„Dieses ist das erste Vorgefühl des Ewigen: Zeit haben zur Liebe.“Dieses Rilke-Zitat stellt Weingartne­r seinem langsamen, zärtlichen Roadmovie voran. Dann beginnen die beiden zu reden. Über Evolution, Kapitalism­us, Sex und Empathie. So kluge, zeitgemäße und dabei so leichtfüßi­g dahintröpf­elnde, diese Generation skizzieren­de Dialoge hat man im Kino schon lange keine mehr gehört, während die beiden durch Frankreich­s Täler und Spaniens Berge bis zum Atlantik schaukeln und sich dabei annähern.

Dieser Film ist auch ein Statement: langsames Erfahren statt schnelles Wischen. Und dabei wünscht man sich, die beiden mögen nie irgendwo ankommen. Man hätte sich als blinde Passagieri­n noch gerne länger in diesen Liebesfilm geschmugge­lt.

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