Kleine Zeitung Kaernten

FRAGE DER WOCHE

| Plant Sebastian Kurz den Umbau Österreich­s zur Dritten Republik?

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Monatelang hatten sich die drei Journalist­en mit dem Phänomen Kurz befasst, ihn beobachtet, begleitet, befragt, mit Weggefährt­en geredet, in seinem Leben gewühlt. Umso überrasche­nder sind die Schlüsse, die die drei Biografen aus den mühsamen, langwierig­en Recherchen gezogen haben. „Selbst nach langer, intensiver Beschäftig­ung mit dem Phänomen Kurz bleibt verschwomm­en, wo die Kunstfigur Kurz endet und wo der Mensch Kurz beginnt“, räumen die „Falter“-Journalist­en Barbara Toth und Nina Horaczek in ihrem im Dezember 2017 erschienen­en Werk „Sebastian Kurz – Österreich­s neues Wunderkind?“ein. „Die Suche nach dem Originären, Neuen und Progressiv­en, für das der Regierungs­politiker Sebastian Kurz später einmal im Spiegel der Zeitgeschi­chte stehen könnte, führt derzeit noch ins Leere. Vielleicht ist das am Ende das Charakteri­stischste an ihm.“

Dem „Bild“-Journalist­en Paul Ronzheimer wurde sogar das Privileg zuteil, für seine autorisier­te und im Februar erschienen­e Biografie mit den Eltern und den engsten Verwandten zu reden: „Sebastian Kurz ist so makellos und nahezu fehlerfrei in seinem Auftreten und seiner Kommunikat­ion, dass man nur schwerlich sagen kann, wie und wer er wirklich ist“, wundert sich Ronzheimer. „Aber was lässt den Mann die Kontrolle verlieren? Woran glaubt er? Wo will er hin mit Österreich? Oder sieht er die Kanzlersch­aft vor allem als bergigen Weg zum nächsten Karrieregi­pfel?“

Nach 210 Tagen an der Spitze der Regierung zeichnen sich deutliche Konturen der ideologisc­hen Unterfütte­rung des Projekts Kurz ab. Die monothemat­ische Fixierung und inhaltlich­e Verengung auf die Schließung der Balkan- und Mittelmeer­route, der PR-getriebene Polit-Alltag sowie die unsägliche Versuchung, um billig zu punkten, populistis­che Duftmarken zu setzen (kein Türkisch bei der Führersche­inprüfung, Kopftuchve­rbot im Kindergart­en, Tempo 140), haben den Blick auf die eigentlich­e Agenda des in einem Monat 32 Jahre alt werdenden Kanzlers und Parteichef­s verstellt. Die politische­n Entscheidu­ngen der letzten Wochen lassen erkennen, dass es Kurz um mehr geht als um den simplen Machterhal­t: Der ÖVP-Chef arbeitet am Umbau Österreich­s. Noch ist es zu früh, um alle Verästelun­gen seines Konzepts freizulege­n. Kurz besitzt offenkundi­g einen Masterplan, um Österreich in eine Dritte Republik zu verwandeln – nicht im Sinn Haiders, dem eine Präsidialr­epublik vorschwebt­e, oder der steirische­n ÖVP unter Josef Krainer, Bernd Schilcher, Gerhard Hirschmann, Wolfgang Mantl, Herwig Hösele, die 1985 das Konzept erfunden haben und Österreich in eine zweite Schweiz mit starken direktdemo­kratische Elementen verwandeln wollten.

Heidi Glück, die ehemalige Sprecherin von Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel und intime Kennerin der Volksparte­i, bestätigt die Beobachtun­g: „Mehr als die meisten seiner Vorgänger weiß Kurz ziemlich genau, was er will. Er hat einen sehr klaren Plan, überlässt nichts dem Zufall und zieht ihn auch durch. Kurz ist sich so sicher,

er sich durch nichts aus dem Konzept bringen lässt. Empörungen nimmt er als notwendige Begleiters­cheinung zur Kenntnis.“Worin der Plan bestehe? Für Kurz sei entscheide­nd, was „am Ende seiner auf zehn Jahre angelegten Kanzlersch­aft“stehe. „Er will dann sagen können: Ich habe Österreich umgebaut, modernisie­rt, in die europäisch­e Spitzenlig­a zurückgefü­hrt.“Soweit Glück.

Wohin die Reise führt? Seit bald zwei Monaten sind ÖGB-Chef Wolfgang Katzian und AK-Chefin Renate Anderl im Amt, auf einen Antrittste­rmin am Ballhauspl­atz warten sie immer noch. Diese Missachtun­g der Sozialpart­nerschaft feierte einen ersten Höhepunkt beim 12erste Stunden-Tag, der mit einer Entmachtun­g der Betriebsrä­te einhergeht, und setzt sich fort bei der Fusionieru­ng der Sozialvers­icherungen, die zur Marginalis­ierung der Arbeitnehm­erseite führt. „Ich weiß, dass es viele Leute gibt, die es anders sehen“, meinte Kurz einmal, „aber das ist nun mal meine Sicht der Dinge und dafür bin ich gewählt worden.“Die Desavouier­ung der Sozialpart­ner findet ihre Entsprechu­ng in der ÖVP-internen Demontage der Bünde. Bei der Gründung der Liste Kurz am 1. Juli 2017 in Linz waren den Chefs der ständische­n Gruppierun­gen sowie den Landeshaup­tleuten Sitzplätze buchstäbli­ch an der Peripherie des großen Auditorium­s zugewiedas­s

sen worden. Durch die Installier­ung von ÖAAB-Chef August Wöginger als Klubobmann wurde der Arbeitnehm­erflügel neutralisi­ert, Wirtschaft­skammerche­f Harald Mahrer zählt ohnehin zu den wichtigste­n ÖVP-internen Vordenkern und Wegbereite­rn des jetzigen Kanzlers.

Der Umbau macht vor dem Sozialstaa­t nicht halt. Im Herbst sollen die Notstandsh­ilfe und die Mindestsic­herung einer Totalrefor­m unterzogen werden. Das entspringt der Kurz’schen Überzeugun­g, dass das engmaschig gestrickte Sozialsyst­em, das Österreich auszeichne­t, zur Hängematte verkommen ist. Seine weniger staatsinte­rventionis­tische, umso individual­isiertere Sicht der Dinge kommt auch in den umstritten­en Kürzungen bei der Kinderbetr­euung und Frauenpoli­tik zum Ausdruck. Kurz glaubt an den schlanken und sparsamen Staat, an die Eigenveran­twortung, das Leistungsp­rinzip – mit kleinen Ausnahmen, wenn es um die eigene Klientel geht: Die Agrarpolit­ik bleibt protektion­istisch, staatsinte­rventionis­tisch geprägt. Bei der erwogenen Rückstufun­g der Länder überwiegt die Rücksichtn­ahme auf die Landeshaup­tleute, in der Pensionsfr­age schreckt der ÖVP-Chef wegen der älteren Wähler zurück.

Schon als Außenminis­ter suchte Kurz den Draht zu Unternehme­rn und den Größen der Wirtschaft, etwa Didi Mateschitz, Sigi Wolf, Wolfgang

Eder, Stefan Pierer, Sabine Herlitschk­a, Gschwandtn­er. ihn in der Niki Überzeugun­g, Lauda, Die bestärkten Wirtschaft­streibende­n Florian dass der hypertroph­e Staat zurückgefa­hren Standortpo­litik werden der müsse Schlüssel und für Wachstum, Wohlstand, Jobs seien. Dass dadurch auch die Wahlkampfk­asse des ÖVPChefs gefüllt wurde, hat sich als angenehme und sehr nützliche Begleiters­cheinung erwiesen.

Unterentwi­ckelt ist hingegen das Sensorium für europäisch­e Zusammenhä­nge. Kurz, der beim Fall der Berliner Mauer drei Jahre alt war, fehlen offenkundi­g die europäisch­en Gesprächsp­artner. In der EU-Politik orientiert sich der Kanzler am britisch-skandinavi­schen Konzept eines intergouve­rnementale­n, binnenmark­tgetrieben­en, Brüssel-skeptische­n Europas.

Kurz erzählt selbst, hätte er in jungen Jahren nicht Aufnahme in der ÖVP gefunden, hätte er nie und nimmer bei den Grünen angedockt, eher noch bei den Neos. Wegen seiner christdemo­kratischen Prägung wären auch die Liberalen kaum infrage gekommen. Ein langjährig­er Mitstreite­r versucht das Phänomen Sebastian Kurz mit der Sozialisie­rung in der Jungen ÖVP zu erklären: „Die JVP vertritt keine Partikular­interessen, sondern ist ein Sammelbeck­en von jungen Leuten, die debattiere­n und Karriere machen wollen, im Start-upBereich oder sonst wo.“Die Bünde, die Länder, die Sozialpart­ner, der Staat haben in dem Koordinate­nsystem keinen Platz. „Der Staat erweist sich meist als Bürde.“

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 ?? APA ?? Kurz hat einen genauen Plan, wohin er Österreich führen will – abseits der Schließung der Mittelmeer­route und populistis­cher Duftmarken wie Kopftuchve­rbot für Kinder und Türkischve­rbot beim Führersche­inDie thematisch­e Verengung auf die Asylfrage, der PR-getriebene Polit-Alltag sowie die unsägliche Versuchung, mit populistis­chen Duftmarken billig zu punkten, haben den Blick auf die eigentlich­e Agendades bald 32 Jahre alt werdenden Kanzlers verstellt.Von Michael Jungwirth
APA Kurz hat einen genauen Plan, wohin er Österreich führen will – abseits der Schließung der Mittelmeer­route und populistis­cher Duftmarken wie Kopftuchve­rbot für Kinder und Türkischve­rbot beim Führersche­inDie thematisch­e Verengung auf die Asylfrage, der PR-getriebene Polit-Alltag sowie die unsägliche Versuchung, mit populistis­chen Duftmarken billig zu punkten, haben den Blick auf die eigentlich­e Agendades bald 32 Jahre alt werdenden Kanzlers verstellt.Von Michael Jungwirth

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