Kleine Zeitung Kaernten

Die USA von ganz unten aus beobachtet

Ein neues Sittengemä­lde für die Armut im Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten.

- Ingo Hasewend

Kaum eine Stadt der westlichen (reichen) Welt steht so sehr für den Kontrast von Arm und Reich, von Erfolg und Misserfolg, für den American Way of Life wie New York. Der amerikanis­che Soziologe Matthew Desmond hat im vergangene­n Jahr für seine Beobachtun­gen über die schwierige Wohnsituat­ion von den gesellscha­ftlich Gescheiter­ten in New York den PulitzerPr­eis erhalten. „Zwangsgerä­umt“heißt sein berührende­s Werk über seine Beobachtun­gen bei dieser schmerzvol­len Feldforsch­ung. Nun ist das Buch auch auf Deutsch erschienen und ist ein durchaus verstörend­er Beleg für die Verelendun­g der Großstädte in den USA, die US-Präsident Donald Trump mit seinen Konjunktur­programmen so gerne „great again“machen möchte. Eine stolze Nation muss solche bewegend erzählten Geschichte­n über das Elend der „unteren Zehntausen­d“gefallen lassen. Desmond gelingt es eindrückli­ch, diese Geschichte­n ins Licht zu rücken. Es ist aber nicht nur die Erzählung, es sind die Zahlen und Fakten, die nachgezeic­hnete Spirale nach unten in den Abgrund des Lebens, die das Buch so wertvoll machen. Er bleibt dran an der gesamten Geschichte, erzählt, wie es zum privaten Unglück kommt, wie es danach weitergeht, wenn der Vermieter sein Recht wahrnimmt und die Spirale aus Räumung und dringliche­r Wohnungssu­che sich weiterdreh­t und die Preise dabei nach oben treibt. Immerhin: Desmond zeigt auch Lösungen auf, die aber für europäisch­e Ohren weniger nach Utopie als nach Alltag klingen. Sozialer Wohnungsba­u? Haben wir längst. Aber genau das kann also ein Zukunftssz­enario sein, wenn der soziale Kahlschlag in Europa ebenso weiter anhält wie der Verkauf von staatliche­m Wohnungsba­u. Es ist ein Sittenbild des wenig schillernd­en Amerikas abseits des gelebten amerikanis­chen Traums. Es ist aber keine rein amerikanis­che Erscheinun­g, denn die beschriebe­ne Form der Ausbeutung und auch der Abtrennung vom Rest der Gesellscha­ft ist durchaus bei uns zu finden. Es ist auch eine gute Erklärung für das, was in den USA gerade politisch bewegt.

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Zwangsgerä­umt. Ulstein. 544 Seiten. 26,80 Euro.
Matthew Desmond: Zwangsgerä­umt. Ulstein. 544 Seiten. 26,80 Euro.

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