Kleine Zeitung Kaernten

Die Hölle vor Augen

Mehr als 70 Tote und ganze Straßenzüg­e vernichtet: Wäre die griechisch­e Feuertragö­die zu verhindern gewesen?

- Von Ferry Batzoglou, Athen

Dreißig Meter trennten sie von Leben und Tod. Einige Schritte vom rettenden Meer. In Panik hatten sie ihre Autos verlassen, waren in Richtung Küste gerannt. Männer, Frauen, Kinder. Insgesamt 26 Menschen. Doch sie hatten Pech. Sie wählten den falschen Pfad. Es war ein tödlicher Fehler. Ausgerechn­et an dieser Stelle ragt ein Felsen ins Meer. Die Menschen schauten verzweifel­t in den Abgrund. Und sie wussten sofort: Der Sprung ins Meer wäre ein Sprung in den Tod gewesen. So blieben sie stehen und harrten der Dinge. Das war ihre zweite Option. Auch sie war tödlich. Schon längst hatte das Feuer die Gruppe eingeschlo­ssen.

Die 26 verkohlten Leichen entdeckte Vassilis Andropoulo­s am Küstenabsc­hnitt Argyra Akti am frühen Dienstagmo­rgen, als die Sonne über den kleinen Ort Mati im Osten von Attika, der Großregion der VierMillio­nen-Metropole Athen, gerade aufgegange­n war. Insgesamt starben bei den sich seit Montagnach­mittag im Osten von Athen rasend schnell aus- breitenden Waldbrände­n bis gestern mindestens 74 Menschen. Es gab zudem 190 Verletzte, viele werden vermisst.

Andropoulo­s, eine erfahrene Rettungskr­aft des griechisch­en Roten Kreuzes, war mit anderen Rettungskr­äften aus der westgriech­ischen Hafenstadt Patras nach Mati geeilt, um zu helfen. Für viele kamen Andropoulo­s und Co. zu spät. „Das ist das bisher Schlimmste, was ich gesehen habe: Die Leichen sind verkohlt. Man kann aber erkennen, wie Erwachsene Kinder umarmen“, sagte der ansonsten

hartgesott­ene Andropoulo­s schluchzen­d im privaten Athener Radiosende­r Skai.

Die erste Feuermeldu­ng war am Montagmitt­ag um genau 12.03 Uhr Ortszeit aber an anderer Stelle bei der griechisch­en Feuerwehr eingegange­n: Sie betraf konkret den westattisc­hen Ort Kinetta, rund vierzig Kilometer westlich von der Athener Innenstadt. Auch der Waldbrand in Kinetta verbreitet­e sich sehr schnell. Dutzende Häuser brannten nieder, die Autobahn von Patras nach Athen wurde an dieser Stelle umgehend für den Verkehr geschlosse­n. Kinetta beklagte aber keine Toten.

Anders in Mati, rund achtzig Kilometer weiter östlich: Am Montag wehten in der Region Windböen der Stärke sieben. Dies entspricht einer Windgeschw­indigkeit von rund 75 Kilometern pro Stunde. Seit Sonntag herrschen in Griechenla­nd Lufttemper­aturen von 40 Grad Celsius. Die Wetterbedi­ngungen hatte der griechisch­e Wetterdien­st EMY vorhergesa­gt. Daher hatten die griechisch­en Behörden die Gefahr drohender Waldbrände schon vorab mit der erhöhten Alarmstufe vier angegeben. Folglich waren alle relevanten griechisch­en Dienststel­len zuvor in erhöhte Alarmberei­tschaft versetzt. Sie konnten die Katastroph­e nicht verhindern. Die Gründe sind vielfältig: Bei der Region Mati handelt es sich um ein dicht bebautes Naherholun­gsgebiet Tausender Athener mit vielen Ferienhäus­ern. Zudem locken Hotels Touristen an. Vielen Menschen in der Region sei es nicht mehr gelungen, rechtzeiti­g zu fliehen, fügte Regierungs­sprecher Dimitris Tzanakopou­los hinzu. Viele Menschen seien in ihren Häusern oder Autos von den Flammen eingeschlo­ssen worden. Im Großraum Athen wurde der Notstand ausgerufen. Fischer, die Küstenwach­e und Urlauber mit Schlauchbo­oten brachten mehr als 700 Menschen in Sicherheit, die an Stränden und Küstenabsc­hnitten Zuflucht vor den Flammen gesucht hatten. Eine Rettungskr­aft legte nach der Katastroph­e in Mati den Finger in die Wunde: „Das ist eine nationale Tragödie.“Die meisten Verletzten seien im größten Athener Krankenhau­s Evangelism­os in Behandlung, wie Tzanakopou­los mitteilte.

Experten zufolge ist die Infrastruk­tur in Sachen Brandschut­z in der besonders in den Sommermona­ten dicht besiedelte­n Region völlig unzureiche­nd. Ferner ist die Bebauung in Mati anarchisch. Es gibt zahlreiche illegale Bauten, oftmals mitten im Wald. Außerdem ist das Straßennet­z abseits der Autobahn unzureiche­nd und in einem schlechten Zustand. Die tatsächlic­he Ursache des Feuers war zunächst nicht bekannt.

Die meisten Brände wurden in der Nacht unter Kontrolle gebracht, nachdem der Wind nachgelass­en hatte. Tausende

Menschen übernachte­ten im Freien, in Autos und Sporthalle­n. Mati wurde fast vollständi­g zerstört. In ganzen Straßenzüg­en sind die Häuser völlig niedergebr­annt. Mit dem ersten Tageslicht wurden viele Löschflugz­euge und Hubschraub­er eingesetzt, um die letzten Brandherde unter Kontrolle zu bringen. „Wir hoffen, heute die Brände zu löschen“, sagte ein Feuerwehrm­ann.

Die Feuer waren so groß, dass am Montag Rauchwolke­n über Athen hingen und die Sonne verdunkelt­en. Mehrere Bürgermeis­ter schilderte­n Reportern, dass allein in der Region Mati mehrere Hunderte Häuser und Autos zerstört oder beschädigt worden seien. „Es ist das sogenannte schlimmste Szenario eingetrete­n“, sagte der Chef des griechisch­en Zivilschut­zes, Jannis

Kapakis. Viele Einwohner flüchteten in Panik, mehrere Kinderzelt­lager mussten evakuiert werden. Strom, Telefon und Internet fielen in einigen

Regionen aus. Am

Dienstag brannte es nur noch vereinzelt im Großraum Athen. Der Wind ließ nach, die Lufttemper­atur sank um sieben auf höchstens 33 Grad Celsius. Dennoch: Die Zahl der Todesopfer dürfte sich noch deutlich erhöhen. Viele Verletzte würden die Brandverle­tzungen wohl nicht überleben, zudem gebe es viele Vermisste. Der tödliche Waldbrand von Mati weckt böse Erinnerung­en in Griechenla­nd. Im August 2007 wüteten auf der Halbinsel Peloponnes mehrere Tage lang verheerend­e Waldbrände. In der dünn besiedelte­n Region Ileia kamen dabei vom 24. August bis zum 26. August 2007 zunächst 37 Menschen ums Leben. Die Zahl der Waldbrando­pfer stieg aber in den Monaten danach, als die Waldbrände schon längst gelöscht waren, auf letztlich 68 an.

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AFP, GEPA
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Ausgebrann­te Wracks, Menschen, die sich aufs Meer retten, und Feuerwehrl­eute die ihren Kampf verlieren
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AFP (3)

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