Salzburg, zerrissenes Herz der Welt
ESSAY. Salzburg glänzt in allem – mit gut verkäuflicher Schönheit, mit Weltkunst und in lokalpolitischem Dilettantismus. Ab heute will die Festspielstadt wieder einmal Mittelpunkt der Welt sein.
Von China aus betrachtet ist Salzburg ein Tagesausflug auf einer Reiseroute. Von Österreich aus betrachtet ist Salzburg ein sattes Städtchen, ein teures Pflaster mit Hang zu Größenwahn, Bewahrungssucht und Trachtenmode. Vom Land Salzburg aus betrachtet ist Salzburg Landeshauptstadt und Arbeitsplatz. Und von der Salzburger Altstadt aus betrachtet ist es das Herz der Welt.
Betrachtet man das Rathaus, das in Salzburg freilich ein Schloss ist, besteht die Welt aus lokalpolitischen Kleinkriegen. 2017 musste Langzeit-Bürgermeister Heinz Schaden wegen eines Finanzskandals zurücktreten. Lange Zeit hatten er und Bürgerlisten-Stadtrat Johann Padutsch die Stadt regiert. Doch die beiden Alphatiere haben sich aufgerieben und abgenutzt. Einer ist weg, der andere müde. Hinter ihnen herrscht Vakuum. Scharmützel bestimmen das Handeln. Bürgermeister ist nun Harald Preuner, ein lang gedienter ÖVP-Mann, eher Verwalter als Gestalter. Derzeit kämpft er mit anonymen Anzeiwuchert gen, die gegen Stadtpolitiker und Mitarbeiter im Magistrat erstattet wurden. Unter anderem geht es um verschenkte Feuerwehrautos.
„Welt, schau auf uns“, steht auf einem Transparent. Es weht über einer Altstadtgasse. Beworben wird die Inszenierung von „Die Perser“, dem ältesten erhaltenen Drama der Welt. Das ist ein Stück, das vor dem Hintergrund einer Schlacht über die Demut im Sieg und die Größe in der Niederlage philosophiert. Dass die Welt auf Salzburg schaut, gefällt auch Bürgermeister Preuner – wenn es, wie in diesen Sommertagen, um die große Bühne der Kunst geht. Ganz unverblümt hofft er aber, „dass die Gäste die Lokalberichterstattung gar nicht mitbekommen“. Blöd, dass eben in den Festspieltagen etwa die „Salzburger Nachrichten“wegen der umfassenden Berichterstattung zum Sommer-Kunstevent, besonders stark gefragt sind.
Am einen Ufer der Salzach werden also Wadl’n gebissen. Auf der anderen Salzachseite tritt man wie seit 98 Jahren mit Riesenschritten in die Welt der Kunst und Kultur. Im Festspielbezirk wird der Platz eng. Die Gassen sind verstopft. Eng wird es aber auch, weil es immer schwerer wird, das beste Festival der Welt zu bleiben. In den Werkstätten und Büros der Festspiele wird hart dafür gearbeitet. Und „aufs Ende zu wird’s immer knapp“, sagt Franz Guggenberger. Er leitet die Requisite der Salzburger Festspiele. Es ist die 37. Saison des gebürtigen Innviertlers. Große Kunst entsteht aus Innovation und Kontinuität, aus Tradition und neuen Perspektiven gleichermaßen, damit sie Jahr für Jahr frisch und aufregend ist. Das Welttheater spielt dann in einem Städtchen, das in seinem Inneren zur Provinzposse
D tendiert. as Dilemma der Schönheit dieser Stadt liegt in der Unverwüstlichkeit seiner Topografie und der Macht seiner historischen Bauten. Darauf baut ein schier blindes Vertrauen, mit dem diese Schönheit von Verwaltern und Besitzern ausgebeutet wird. Gern gibt man sich großzügig und weltoffen zu jenen, die aus aller Welt anreisen. Kleinkrämerisch wird agiert, wenn es um innerstädtische Angelegenheiten geht. Das liegt auch daran, dass infrastrukturelle Probleme der Stadt – wie die Nachfrage nach Wohnungen – nicht allein innerhalb der Stadtgrenzen gelöst werden können. Die Stadt wurde zum Investitionsobjekt. Das gilt längst auch für das Umland.
An den Einfahrtsstraßen und in den Gemeinden rundherum es. Einkaufszentren provozieren Abfluss von Kaufkraft und also ein Sterben jener Geschäfte, die das Stadtzentrum auch für neue Bewohner attraktiv machen könnten. Dazu konkurriert strikt reglementierte Bautätigkeit mit einer scheinbar von allen Fragen der Ästhetik unbefleckten Gesetzlosigkeit beim Bau in den Vorstädten. Das Wuchern der Peripherie provoziert zudem Verkehrsprobleme. Und als nähme der sprichwörtliche Schnürlregen die Sicht, tapst die Stadtpolitik von einem Problemfall zum nächsten. Pläne, die über den Rand der gewinnbringenden Altstadt hinausreichen, fehlen – oder werden oft von der Bewahrungslobby vernichtet. Dabei verfügen Stadt und Umland auch über innovative Kräfte. Die Überschaubarkeit der Stadt, mehr aber noch der hohe Erholungsfaktor des nahen alpinen Umlands und der Seenlandschaft des Salzkammerguts sind attraktiv für Weltfirmen. Oder im Sommer eben für Künstler von Weltrang.
Nahekommen lässt sich dem gespaltenen Wesen der Stadt
mittels einer Süßigkeit, der Mozartkugel. Da gibt es die „Original Salzburger Mozartkugel“der Konditorei Fürst. Mitten aus der Altstadt, aus einem alteingesessenen Familienbetrieb kommt sie. Und es gibt die „Echte Salzburger Mozartkugel“der Firma Mirabell. Die hat ihren Sitz im nahen Grödig und gehört zum US-Weltkonzern Mondele¯z International, ehemals Kraft Foods. Bei den Mozartkugeln geht es um eine Geschmacksfrage. Bei „Original“, also alteingesessen, oder „echt“, also „zuag’roast“, geht es im Salzburger Alltag um Haltung. Da trifft unbewegliche Bewahrungskultur auf neue Blicke einer echten, zeitgenössischen
E Gegenwart. Originales erstarrt. chtes holt die Welt herein – aber nicht bloß mit Übernachtungszahlen. Nirgends ist dieser Gegensatz aus Stillstand und Aufbruch stärken, als wenn es in der Stadt um Kunst geht. Bürgermeister Preuner fasst die Faszination der Festspiele so zusammen: „Es ist uns gar nicht so bewusst, dass sie die Michael Jacksons der Klassik sind.“Er schließt daraus, dass die Ahnungslosigkeit dazu führe, dass Salzburg „so unaufgeregt“mit
W dem Ereignis umgehe. elt, schau auf uns“könnte ein Schrei nach Hilfe von Untergehenden im Meer oder anderen Ausgestoßenen sein. In Salzburg klingt „Welt, schau auf uns“nicht nach Besorgnis, es klingt nach jener Selbstverständlichkeit, mit der sich in dieser Stadt Gästebetten und Gässchen mit Touristen füllen. Längst vollzieht sich eine rasante Venedigisierung der Stadt.
Der Trubel beschränkt sich lang nicht mehr auf die Sommermonate. Im Sommer aber wird der Spagat aus Anbiederung an die Gäste und der Vernachlässigung der Hausaufgaben dramatisch deutlich. Gut drei Millionen Übernachtungen gab es 2017 in der Stadt – etwa 20 Übernachtungen pro Bewohner. Dazu kommen in den nächsten Umlandgemeinden noch einmal gut 800.000 Nächtigungen. Und es kommen immer mehr Tagestouristen. Die Stadt lebt gut davon, sich weltweit als Marke zu verkaufen. Und sie leidet darunter, dass zum Verkauf dieser Marke äußere Schönheit mehr zählt als innere Zufriedenheit.
„Die Gegenden von Salzburg, Neapel und Konstantinopel halte ich für die schönsten der Welt.“Aus diesem Satz des weit gereisten Alexander von Humboldt lässt sich leicht der Spruch in einem Reiseprospekt machen. Dabei ist gar nicht sicher, ob Humboldt das tatsächlich auch gesagt hat. Egal – es passt ins Werbebild. Dass Thomas Bernhard in seiner Autobiografie definitiv geschrieben hat, diese Stadt sei „in Wirklichkeit eine Todeskrankheit“, wird mit idyllischen Postkarten wegfotografiert.
Unten im barocken Kessel und in seinen Vorstadtausläufern, wo gewohnt und gelebt werden will, rumort es. Es gärt zwischen barocker Pracht und den Mühen des Alltags. Mächtige Touristiker, standhafte Traditionsbewahrer, nachhaltig Frischdenkende, Weltkunstproduzenten, orientierungslose Lokalpolitik treffen im Schatten des schönen Scheins aufeinander.
Und von oben betrachtet, von einem der Stadtberge aus, ist das auch „eine malerische Sache, Postkarte nichts dagegen“, wie Wolf Haas in seinem Brenner-Krimi „Silentium“schreibt. Zwischen Mönchsberg und Kapuzinerberg stehen „im Tal tausend Kirchen und Klöster aufgefädelt am grün blitzenden Salzachfluss, das musst du dir vorstellen wie ein funkelndes Edelsteinkollier zwischen den prächtigen Brüsten einer Oktoberfest-Kellnerin“. Aber da oben wohnt halt kaum wer. Da oben wird geschlendert, flaniert und der Ausblick genossen. Es ist ein Schein, der diese Stadt ohne ihr Zutun, quasi naturgemäß, glänzen lässt. Aber Wolf Haas stößt seinen Detektiv Simon Brenner dann hinunter von den Bergen hinein in eine fein herausgeputzte Gesellschaft. Dort lauert hinter den barocken Fassaden und schön gefärbten Bühnenbildern ein Dickicht aus Intrigen, Vertuschung, Missbrauch und Mord. Aber „Silentium“bitte! Das ist ja nur ein Krimi.