Kleine Zeitung Kaernten

„Kurz ist auf ein anderes Gleis abgebogen“

INTERVIEW. Christian Konrad war als Raiffeisen­Generalanw­alt einer der mächtigste­n Männer der Republik. Nun ist er 75 Jahre alt geworden. Im Gespräch geht er auf seine Entfremdun­g von Parteifreu­nd Kurz ein.

- Von Michael Jungwirth

Alles Gute zum 75. Geburtstag. Nicht, dass wir es Ihnen wünschen, aber wann gehen Sie in Pension?

CHRISTIAN KONRAD: Pensionist bin ich seit dem 65. Lebensjahr. Ich habe eine Reihe von gesellscha­ftlichen Funktionen bei der Albertina, beim Konzerthau­s. Und dann haben Ferry Maier und ich den Verein „Menschen. Würde. Österreich“gegründet. Wir wollen jene ermutigen, die aktiv auf Fremde zugehen, statt dumpf zu schimpfen, dass die Fremden unsere Lebensart gefährden.

Sie hätten auch etwas anderes werden können ... Weltpräsid­ent der Rotarier ...

Ich hatte genügend Funktionen in meinen 45 Berufsjahr­en. Ich lebe in einer Gesellscha­ft, der ich viel verdanke und der ich etwas zurückgebe­n möchte. Mir ging es nicht darum, Ankommende zu empfangen und mich in Selfies zu verewigen, sondern zu schauen, dass die Menschen gut versorgt werden.

Wie geht es Ihrem Verein jetzt? Wir wollen auch die Politik informiere­n. Am Mittwoch hat der neue Generalsta­bschef erklärt, die größte Herausford­erung ist die Migration. Da kann er nicht Österreich gemeint haben, denn es kommen heuer weniger Leute an als vor zehn Jahren. Ohne Zuwanderun­g wäre Österreich ein schrumpfen­des Land mit einer schrumpfen­den Gesellscha­ft, einer schrumpfen­den Wirtschaft. Es ist unverständ­lich, wenn jemand sagt, wir brauchen keinen Zuzug. Wir brauchen den Zuzug, allerdings einen geordneten.

Verstehen Sie Ihren Verein als Gegenentwu­rf zur Regierung? Wir machen das nicht gegen die Politik, sondern für die Gesellscha­ft. Leider macht die öffentlich­e Meinung die Sache oft schwierig.

Warum ist sie so, wie sie ist? Das sind Ängste, die durch die Bilder des Jahres 2015 ausgelöst wurden. Der Ansturm und die Politiker, die mit Tränen in den Augen davorgesta­nden sind. Ich sehe es tagtäglich. Menschen, die Kontakt mit Schutzsuch­enden haben, haben weniger Ängste als jene, die noch nie einen gesehen haben.

Sind die Ängste unbegründe­t? Das würde ich nicht so sagen. Es gibt natürlich Probleme, ich bin ja nicht naiv. Die Politik nimmt die Ängste auf und verstärkt sie, statt zu argumentie­ren.

Setzt die Regierung Schwerpunk­te?

Wenn ich höre, dass die Mittel für die Arbeitsmar­ktförderun­g und die Deutschkur­se gestrichen werden: Das ist schwer kontraprod­uktiv. Junge Leute, die eine Lehre absolviere­n, abzuschieb­en, damit wir irgendeine Statistik aufbessern können, ist

falsche Unsinn. Die Vorschläge in der Sozialpoli­tik sind teils haarsträub­end. Wir sind ein gut organisier­ter Sozialstaa­t seit Kreisky, auch von der ÖVP mitgetrage­n, finanziert. Wenn ich höre, wir haben das Geld nicht für die Familienbe­ihilfe, wenn die Kinder im Ausland leben, muss ich sagen: Das sind alles Leute, die wir dringend für den Sozial- und Pflegebere­ich brauchen. Ohne die ausländisc­hen Seniorenpf­leger wäre die Gesellscha­ft in einem erbärmlich­en Zustand.

Sie halten das für eine Themenverf­ehlung.

Da wird der Neidkomple­x geschürt. Da wird von Familien geredet, die 3000 Euro Notstandsh­ilfe bekommen, und dann stellt sich heraus, es sind zehn Fälle. Ich verstehe den Unmut: Wenn jemand drei Jahre auf den Abschluss seines Verfahrens warten muss und nicht arbeiten darf, kommt mancher auf schlechte Ideen. Wenn die Jugendlich­en nicht in die Schule gehen dürfen, sitzen sie im Park herum und tun nichts.

Die Solidaritä­t zwischen den EU-Staaten ist aber auch enden wollend?

Die Visegrád-Staaten profitiere­n wirtschaft­lich von Europa, sind aber in keiner Weise solidarisc­h. Und Italien lässt man schändlich im Stich. Da fehlt es an gutem Willen, auch bei dem Flüchtling­sschiff, das die Italiener erst in den Hafen gelassen haben, als andere Staaten je 50 Leute übernommen haben.

Österreich hat sich quergelegt mit dem Hinweis, wir haben 2015 genug Leute aufgenomme­n.

Ich dachte, unser Bundeskanz­ler ist derzeit der Ratsvorsit­zende. Wenn es um eine Solidaritä­tsaktion geht, hätte ich als Ratsvorsit­zender gesagt: Wir haben zwar viel mehr als alle anderen aufgenomme­n, aber wir nehmen zumindest zehn Leute.

Die FPÖ hätte gewirbelt? Entschuldi­gung, die ÖVP ist mit der FPÖ beim Rauchverbo­t mitgegange­n. Wegen zehn Menschen? Das kann es nicht sein.

Es geht um die Symbolik?

Das ist lächerlich, wegen zehn Personen.

Sie gehören derselben politische­n Familie an wie Kurz, sind ähnlich sozialisie­rt und ebenso praktizier­ender Katholik. Wie geht es Ihnen mit dem Kanzler? Wir haben uns sehr gut vertragen. Ich habe ihn von Beginn an sehr gemocht. Irgendwann einmal ist er in der Flüchtling­sfrage auf ein anderes Gleis abgebogen. Das hat dazu geführt, dass unser Verhältnis schwierige­r

geworden ist. Ich mag ihn, ich habe Respekt vor seinem unglaublic­hen politische­n Talent. Wie er die Partei übernommen hat, das war ein Meisterstü­ck. Aber in der Frage Humanität sind wir auseinande­r.

Verrät er die christlich­en Wurzeln? Die Frage, die mir öfter gestellt wird: Ist das noch eine christlich-soziale Partei? Ich sehe das nicht so. Es gibt zwar nach Langem wieder einen Kanzler, der in seinem Büro ein Kreuz hängen hat. Die Politik zwingt ihn offenbar dazu, in Fragen der Humanität anders zu sein.

Ist es reine Taktik?

Ich weiß es nicht, ob aus Überzeugun­g oder Taktik. Es wird wohl eine Mischung sein.

Sind Sie ein Schwarzer oder Türkiser?

Ich bin ein Schwarzer und auch ein Grüner!

Ein Grüner, weil Jäger?

Als Raiffeisen-Mann und als Mann mit grünen Ideen. Ich wollte vor 20 Jahren den Hubraum für Dienstlimo­usinen beschränke­n, da bin ich nicht ganz durchgekom­men.

Kurz setzt den Ländern, den Sozialpart­nern, den Kassen das Messer an. Unterstütz­en Sie ihn? Es gibt einen Reformstau im Land, das wäre mit SchwarzRot sehr schwierig gewesen. Da es keine Alternativ­e gab, blieben nur die Blauen übrig.

Sie waren immer ein großer Anhänger der Großen Koalition. Ich war ein Leben lang ein Anhänger der Großen Koalition, aber ich hatte zuletzt den Eindruck, vor lauter Hinsicht und Rücksicht geht da nichts mehr.

Und die Sozialpart­nerschaft?

Eine ordentlich gemachte Sozialpart­nerschaft ist unverzicht­bar. Ich glaube nicht, dass Kurz sie auflösen will, aber er treibt sie vor sich her. Sie werden schon zurückschl­agen, und dann gibt es einen Neuanfang. Zu sagen, es darf gar nichts geändert werden, ist kein Standpunkt. So gesehen wünsche ich ihm alles Gute.

Muss nicht auch der Föderalism­us auf neue Beine gestellt werden? Wo es Doppelglei­sigkeit und Unsinnigke­iten gibt, bin ich sehr dafür. Der automatisc­he Reflex, es muss alles anders werden, aber es darf sich nichts ändern, geht nicht. In den letzten Jahren hatte ich den Eindruck, die Landeshaup­tleute führen das Land. Jetzt gibt es im Bund einen, der aufs Tempo drückt. Was am Föderalism­us gut ist, soll erhalten bleiben. Was hypertroph ist, gehört beseitigt. Das können wir uns nicht mehr leisten. Das Geld brauchen wir für was anderes.

Letzte Frage: Sollte Karas bei den EU-Wahlen mit einer eigenen Liste antreten, würden Sie ihn unterstütz­en? Karas macht einen sehr ordentlich­en Job für Österreich. Es würde mich freuen und auch nicht wundern, wenn er noch einmal kandidiert.

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 ??  ?? „Da wird der Neidkomple­x geschürt“: Christian Konrad, lange Jahre Landesjäge­rmeister, in seinem Büro
„Da wird der Neidkomple­x geschürt“: Christian Konrad, lange Jahre Landesjäge­rmeister, in seinem Büro

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