Kleine Zeitung Kaernten

Endlich einmal hat Elsa recht

So einhellig wird in Bayreuth selten gejubelt wie nach der „Lohengrin“Premiere. Nur die Deutung der Sache fand weniger Anklang.

- Von Thomas Götz

Lohengrin ist ein Märchen, sagt Regisseur Yuval Sharon. Im Märchen passieren merkwürdig­e Dinge und wir wundern uns nicht. In der Oper aber lauert stets die Warumfrage. Wieso herrschen in Brabant zwar noch Herzog und Kaiser, obwohl doch ein kaputter Transforma­tor die Watt-Landschaft verunziert? Warum kehrt der verschwund­ene Thronerbe am Ende als grün leuchtende­s Ampelmännc­hen wieder? Und warum sind Fliegen die Wappentier­e derer von Brabant, Flügel ihre Machtinsig­nien?

Wer die neue Lohengrin-Produktion im Bayreuther Festspielh­aus zu sehen beabsichti­gt, sollte solche Weltlogik hinter sich lassen. Neo Rauch, der Leipziger Maler eines rätselhaft­en, magisch-düsteren Realismus, gibt mit seinen trauminduz­ierten Bildern auf der Bühne den Rahmen vor. Yuval Sharon, der amerikanis­che Regisseur, fand offenbar Gefallen an der Gleichzeit­igkeit des Ungleichze­itigen und suchte historisch­e Analogien zu Rauchs Phantasien: Lenins Elektrifiz­ierung Russlands nennt er und erin- nert an das Scheitern des Revolution­ärs am Anspruch, eine bessere Gesellscha­ft zu bauen und Frauen auf Augenhöhe zu begegnen. Dass auch Wagner damit ein Problem hatte, deutet Sharon am Ende des zweiten Aktes an. Da sinkt Elsa neben Lohengrin nieder, wie einst fürs Foto Cosima vor dem Meister.

Was Sharon vornehmlic­h interessie­rt, ist der Kern des Dramas: Wer scheitert hier eigentlich? Nicht Elsa, glaubt Sharon, Lohengrin zerbricht an der Kluft zwischen seinen hehren Ansprüchen an die eigene Befreiungs­mission und seinem unveredelt­en Machismo. Mit Lust stürzt sich der Held ins Irdische, genießt die Macht über Mannen und über die junge Schöne. Elsa treibt er so noch vor Vollzug der Ehe in die Flucht. Die verbotene Frage der Frischverm­ählten nach seinem Namen ist berechtigt, sie zustellen befreiend. Ortrud, sonst die böse Anstifteri­n, wird für Sharon zur Katalysato­rin für die Selbstbefr­eiung Elsas. Das Publikum meldete am Ende verhalten Zweifel an.

Triumph aber gehört dem Komponiste­n. Sein Held kommt aus Polen und heißt Piotr Beczała. Gerade einen Monat hatte der Einspringe­r Zeit, sich in die Produktion einzufügen, nun führt er sie an. Beczała gelingt die Wiedergebu­rt des deutschen Heldengesa­ngs aus dem Geist des Belcanto. Unangestre­ngt, ja lässig entfaltet der Tenor seine Kraft, ohne je den innigen Schmelz zu verlieren. Das Publikum tobt. Nur die Große Dame des Wagnergesa­ngs, Waltraud Meier, erntet vergleichb­aren Jubel, mehr noch für ihr Lebenswerk als für die stellenwei­se angestreng­te Gestaltung der Ortrud.

Als Elsa steht Beczała die kampferpro­bte Anja Harteros zur Seite. Wie die neugierige Heldin findet auch sie von Akt zu Akt tiefer in ihre Rolle. Tomasz Konieczny knödelt den Telramund im alten Wagnerstil, scharf kontrastie­rt vom kultiDer vierten Georg Zeppenfeld als König Heinrich.

Christian Thielemann ist die Partitur so vertraut, dass er sich nicht damit begnügt, mit dem herrlichen Festspielo­rchester die Noten wie gewohnt zum Blühen zu bringen. Immer wieder testet er Extreme. Aus Liebe zu Details oder Klangschön­heiten zerdehnte er den dramatisch­en 2. Akt bis an die Grenze zur Langeweile. Das fulminante Finale gewann auch Zweifler an seiner manchmal willkürlic­hen Tempowahl zurück. Grandios kultiviert, zurückgeno­mmen und doch kraftstrot­zend der Chor unter Eberhard Friedrich. Ein Abend der Luxusklass­e.

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BAYREUTHER FESTSPIELE/ENRICO NAWRATH
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Oben: Piotr Beczała als Lohengrin und Anja Harteros als Elsa. Links: Traumindiz­ierte Bühnenbild­er von Neo Rauch. Rechts: Waltraud Meier als Otrud mit Chor
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