Endlich einmal hat Elsa recht
So einhellig wird in Bayreuth selten gejubelt wie nach der „Lohengrin“Premiere. Nur die Deutung der Sache fand weniger Anklang.
Lohengrin ist ein Märchen, sagt Regisseur Yuval Sharon. Im Märchen passieren merkwürdige Dinge und wir wundern uns nicht. In der Oper aber lauert stets die Warumfrage. Wieso herrschen in Brabant zwar noch Herzog und Kaiser, obwohl doch ein kaputter Transformator die Watt-Landschaft verunziert? Warum kehrt der verschwundene Thronerbe am Ende als grün leuchtendes Ampelmännchen wieder? Und warum sind Fliegen die Wappentiere derer von Brabant, Flügel ihre Machtinsignien?
Wer die neue Lohengrin-Produktion im Bayreuther Festspielhaus zu sehen beabsichtigt, sollte solche Weltlogik hinter sich lassen. Neo Rauch, der Leipziger Maler eines rätselhaften, magisch-düsteren Realismus, gibt mit seinen trauminduzierten Bildern auf der Bühne den Rahmen vor. Yuval Sharon, der amerikanische Regisseur, fand offenbar Gefallen an der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und suchte historische Analogien zu Rauchs Phantasien: Lenins Elektrifizierung Russlands nennt er und erin- nert an das Scheitern des Revolutionärs am Anspruch, eine bessere Gesellschaft zu bauen und Frauen auf Augenhöhe zu begegnen. Dass auch Wagner damit ein Problem hatte, deutet Sharon am Ende des zweiten Aktes an. Da sinkt Elsa neben Lohengrin nieder, wie einst fürs Foto Cosima vor dem Meister.
Was Sharon vornehmlich interessiert, ist der Kern des Dramas: Wer scheitert hier eigentlich? Nicht Elsa, glaubt Sharon, Lohengrin zerbricht an der Kluft zwischen seinen hehren Ansprüchen an die eigene Befreiungsmission und seinem unveredelten Machismo. Mit Lust stürzt sich der Held ins Irdische, genießt die Macht über Mannen und über die junge Schöne. Elsa treibt er so noch vor Vollzug der Ehe in die Flucht. Die verbotene Frage der Frischvermählten nach seinem Namen ist berechtigt, sie zustellen befreiend. Ortrud, sonst die böse Anstifterin, wird für Sharon zur Katalysatorin für die Selbstbefreiung Elsas. Das Publikum meldete am Ende verhalten Zweifel an.
Triumph aber gehört dem Komponisten. Sein Held kommt aus Polen und heißt Piotr Beczała. Gerade einen Monat hatte der Einspringer Zeit, sich in die Produktion einzufügen, nun führt er sie an. Beczała gelingt die Wiedergeburt des deutschen Heldengesangs aus dem Geist des Belcanto. Unangestrengt, ja lässig entfaltet der Tenor seine Kraft, ohne je den innigen Schmelz zu verlieren. Das Publikum tobt. Nur die Große Dame des Wagnergesangs, Waltraud Meier, erntet vergleichbaren Jubel, mehr noch für ihr Lebenswerk als für die stellenweise angestrengte Gestaltung der Ortrud.
Als Elsa steht Beczała die kampferprobte Anja Harteros zur Seite. Wie die neugierige Heldin findet auch sie von Akt zu Akt tiefer in ihre Rolle. Tomasz Konieczny knödelt den Telramund im alten Wagnerstil, scharf kontrastiert vom kultiDer vierten Georg Zeppenfeld als König Heinrich.
Christian Thielemann ist die Partitur so vertraut, dass er sich nicht damit begnügt, mit dem herrlichen Festspielorchester die Noten wie gewohnt zum Blühen zu bringen. Immer wieder testet er Extreme. Aus Liebe zu Details oder Klangschönheiten zerdehnte er den dramatischen 2. Akt bis an die Grenze zur Langeweile. Das fulminante Finale gewann auch Zweifler an seiner manchmal willkürlichen Tempowahl zurück. Grandios kultiviert, zurückgenommen und doch kraftstrotzend der Chor unter Eberhard Friedrich. Ein Abend der Luxusklasse.