Ich noch trauen?
INTERVIEW. Der Skandal um betrügerische Verlage, die Studien ohne Kontrolle veröffentlichen, wirft ein schiefes Licht auf die Wissenschaft. Wo der Staat versagt und warum jeder Einzelne mehr Gesundheitskompetenz braucht, erklärt Gerald Gartlehner vom Coch
Herr Gartlehner, Sie leiten Cochrane Österreich: Cochrane steht für Qualität in der Wissenschaft, Sie bewerten Studien unabhängig. Wie schockiert sind Sie über die Machenschaften sogenannter Raubverlage, die gegen Geld Schrottstudien veröffentlichen?
Dass es diese Raubverlage gibt, weiß man seit vielen Jahren. Überraschend ist das Ausmaß und dass auch im deutschsprachigen Raum so viele Leute diesen Verlagen zum Opfer gefallen sind – oder ihre Arbeiten bewusst dort eingereicht haben.
Wie kommt es dazu, dass Forscher darauf hereinfallen oder diese Verlage wissentlich nutzen?
Es gibt im Englischen den Begriff „publish or parish“, das bedeutet: Publiziere oder gehe zugrunde. Wer nicht ständig Studien veröffentlicht, verliert seinen Job. Aber gerade für junge Forscher ist es schwierig, Studien in hochkarätige Zeitschriften zu bringen. Das erfordert viel Erfahrung. Wurde eine Arbeit zwei oder drei Mal von renommierten Verlagen abgelehnt, ist die Gerald Gartlehner, Cochrane
Versuchung groß, zu einem Verlag zu gehen, wo es leichter geht.
Wissen die Betroffenen nicht, was sie tun?
Viele wissen über diese Verlage nicht Bescheid, nein. Auch ich kriege pro Tag mehrere E-Mails von solchen Verlagen, die anfragen, ob ich nicht etwas veröffentlichen möchte. Schreibt man gerade an seiner Doktorarbeit und bekommt ein solches Mail, ist die Verlockung groß und viele wissen nicht, dass sie abgezockt werden, denn diese Zeitschriften haben keinen wissenschaftlichen Wert.
Ist alles, was in diesen veröffentlicht Schrott?
Die Wahrscheinlichkeit,
wirklich
Zeitschriften wird,
dass Schrott dabei ist, ist jedenfalls viel höher. Denn es fehlen die Kontrollmechanismen. Wie man gesehen hat, kann man jeden Schrott einreichen und er wird genommen.
Wie sieht diese Kontrolle normalerweise aus?
Wenn ich als Forscher eine Studie bei einer Zeitschrift einreiche, wird diese an andere Forscher aus demselben Fachbereich geschickt. Die lesen die Arbeit kritisch, machen Anmerkungen oder lehnen sie ab. Das kann bis zu einem halben Jahr dauern. Der Prozess ist sehr mühsam, es braucht eine hohe Frustrationstoleranz. Die renommierten Zeitschriften nehmen unter zehn Prozent der eingereichten Arbeiten an.
Was sind in Ihren Augen die größten Gefahren, wenn diese Kontrolle wegfällt?
Experten fallen solche schlecht gemachten Studien auf, aber für den Laien ist es völlig unmöglich, das zu erkennen. Das ist das wirkliche Problem: Solche Schummel-Verlage werden dazu benutzt, um HumbugTherapien Glaubwürdigkeit zu verleihen! Es werden Pseudostudien veröffentlicht und damit kann man den Menschen sagen: Es gibt Studien zur Wirksamkeit. Und die Bevölkerung muss das dann glauben.
Wessen Aufgabe wäre es, Bevölkerung zu schützen?
Das ist Aufgabe der öffentlichen Hand, doch die versagt völlig. In Österreich ist die Gesundheitskompetenz ganz schlecht, nur knapp besser als in Bulgarien, im Spektrum der EU liegen wir im letzten Viertel. Dabei sollte es eine grundlegende Fähigkeit sein, vertrauenswürdige Informationen zu erkennen, um nicht ausgenützt zu werden.
die
Woran können sich Laien orientieren?