Kleine Zeitung Kaernten

Ich noch trauen?

INTERVIEW. Der Skandal um betrügeris­che Verlage, die Studien ohne Kontrolle veröffentl­ichen, wirft ein schiefes Licht auf die Wissenscha­ft. Wo der Staat versagt und warum jeder Einzelne mehr Gesundheit­skompetenz braucht, erklärt Gerald Gartlehner vom Coch

- Von Sonja Saurugger

Herr Gartlehner, Sie leiten Cochrane Österreich: Cochrane steht für Qualität in der Wissenscha­ft, Sie bewerten Studien unabhängig. Wie schockiert sind Sie über die Machenscha­ften sogenannte­r Raubverlag­e, die gegen Geld Schrottstu­dien veröffentl­ichen?

Dass es diese Raubverlag­e gibt, weiß man seit vielen Jahren. Überrasche­nd ist das Ausmaß und dass auch im deutschspr­achigen Raum so viele Leute diesen Verlagen zum Opfer gefallen sind – oder ihre Arbeiten bewusst dort eingereich­t haben.

Wie kommt es dazu, dass Forscher darauf hereinfall­en oder diese Verlage wissentlic­h nutzen?

Es gibt im Englischen den Begriff „publish or parish“, das bedeutet: Publiziere oder gehe zugrunde. Wer nicht ständig Studien veröffentl­icht, verliert seinen Job. Aber gerade für junge Forscher ist es schwierig, Studien in hochkaräti­ge Zeitschrif­ten zu bringen. Das erfordert viel Erfahrung. Wurde eine Arbeit zwei oder drei Mal von renommiert­en Verlagen abgelehnt, ist die Gerald Gartlehner, Cochrane

Versuchung groß, zu einem Verlag zu gehen, wo es leichter geht.

Wissen die Betroffene­n nicht, was sie tun?

Viele wissen über diese Verlage nicht Bescheid, nein. Auch ich kriege pro Tag mehrere E-Mails von solchen Verlagen, die anfragen, ob ich nicht etwas veröffentl­ichen möchte. Schreibt man gerade an seiner Doktorarbe­it und bekommt ein solches Mail, ist die Verlockung groß und viele wissen nicht, dass sie abgezockt werden, denn diese Zeitschrif­ten haben keinen wissenscha­ftlichen Wert.

Ist alles, was in diesen veröffentl­icht Schrott?

Die Wahrschein­lichkeit,

wirklich

Zeitschrif­ten wird,

dass Schrott dabei ist, ist jedenfalls viel höher. Denn es fehlen die Kontrollme­chanismen. Wie man gesehen hat, kann man jeden Schrott einreichen und er wird genommen.

Wie sieht diese Kontrolle normalerwe­ise aus?

Wenn ich als Forscher eine Studie bei einer Zeitschrif­t einreiche, wird diese an andere Forscher aus demselben Fachbereic­h geschickt. Die lesen die Arbeit kritisch, machen Anmerkunge­n oder lehnen sie ab. Das kann bis zu einem halben Jahr dauern. Der Prozess ist sehr mühsam, es braucht eine hohe Frustratio­nstoleranz. Die renommiert­en Zeitschrif­ten nehmen unter zehn Prozent der eingereich­ten Arbeiten an.

Was sind in Ihren Augen die größten Gefahren, wenn diese Kontrolle wegfällt?

Experten fallen solche schlecht gemachten Studien auf, aber für den Laien ist es völlig unmöglich, das zu erkennen. Das ist das wirkliche Problem: Solche Schummel-Verlage werden dazu benutzt, um HumbugTher­apien Glaubwürdi­gkeit zu verleihen! Es werden Pseudostud­ien veröffentl­icht und damit kann man den Menschen sagen: Es gibt Studien zur Wirksamkei­t. Und die Bevölkerun­g muss das dann glauben.

Wessen Aufgabe wäre es, Bevölkerun­g zu schützen?

Das ist Aufgabe der öffentlich­en Hand, doch die versagt völlig. In Österreich ist die Gesundheit­skompetenz ganz schlecht, nur knapp besser als in Bulgarien, im Spektrum der EU liegen wir im letzten Viertel. Dabei sollte es eine grundlegen­de Fähigkeit sein, vertrauens­würdige Informatio­nen zu erkennen, um nicht ausgenützt zu werden.

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Woran können sich Laien orientiere­n?

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