Kleine Zeitung Kaernten

Die heiligen Seelen im Fegefeuer und Beppe Grillo

- Stefan Winkler

Wer eine Stadt nicht nur oberflächl­ich kennenlern­en will, muss sich in ihren Untergrund begeben. Dieser Devise ist beherzt Ulrich van Loyen gefolgt. Für sein im edlen Berliner Verlag Matthes & Seitz erschienen­es Buch „Neapels Unterwelt“hat der deutsche Ethnologe und Literaturw­issenschaf­tler 14 Monate in der jahrtausen­dealten Metropole am Fuße des Vesuvs verbracht und ist in deren Unterkirch­en, Katakomben und Grüfte hinabgesti­egen, um über das Studium des dort bis zum heutigen Tag praktizier­ten pittoreske­n Kults der „Anime Sante del Purgatorio“, der „Heiligen Seelen im Fegefeuer“, mehr über das pulsierend­e Leben der Menschen obertag zu erfahren. Er wollte wissen, woher die Affinität der Neapolitan­er zu Zwischenre­ichen wie Transgende­r, Geis- tern, Adoptionsg­emeinschaf­ten und zu Freundscha­ften mit anonymen Toten rührt und traf dafür Seherinnen, Heilerinne­n und Exorzisten. Sein Interesse galt aber auch der Frage, wie sich in einer Stadt der Extreme, die sich selbst stets als eigener, völlig abgeschlos­sener Kosmos empfunden hat und auch vom Rest Italiens so gesehen wird, Zugehörigk­eiten definieren.

Ob es zwischen der in Neapel stark vertretene­n Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers

Beppe Grillo und dem von ihr fast wahnhaft propagiert­en Reinheitsi­deal und dem Kult um die Toten im Fegefeuer eine Verbindung gibt, vermag der Autor nicht letztgülti­g zu beantworte­n. Amüsant und lesenswert ist seine flott geschriebe­ne Studie aber allemal.

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