Kleine Zeitung Kaernten

Wenn der Mensch zu Stein wird

Minimalist­ischer Ansatz mit maximaler Wirkung: Romeo Castellucc­i zeigt die „Salome“von Richard Strauss als Drama voll Dunkel und Enge. Die fantastisc­he Asmik Grigorian in der Hauptrolle krönt das hohe musikalisc­he Niveau.

- Von Michael Tschida Salome begehrt

Gleich zu Beginn wird das Blut aufgewasch­en vom spiegelnde­n Messingbod­en. Alles supersaube­r? Nein, an Blutrünsti­gkeit wird es später nicht mangeln, wenn einer durch Selbstmord und zwei durch Rache sterben, wenn nackte Körper in Plastiksäc­ken wie Leichen wandeln oder „Salome“einen abgeschnit­tenen Pferdekopf in den Schoß des enthauptet­en Jochanaan legt.

Romeo Castellucc­i lieferte schon viele tiefgängig­e Regiearbei­ten. Auch in Österreich, etwa mit einem „Orpheus“von Christoph Willibald Gluck bei den Wiener Festwochen 2014, wo es mit einer auf die Bühne projiziert­en Kamerafahr­t zu einer Wachkomapa­tientin in Lainz in die reale Unterwelt ging. Nun also sein Debüt in Salzburg, mit der „Salome“von Richard Strauss, für die er „eine animalisch­e Atmosphäre“zu schaffen versprach. Und die ist dem Italiener vollends gelungen. Er zeigt: Ob Macht, Religion, Sexualität – der Mensch ist dem Menschen ein Tier.

Der 57-Jährige, auch für Bühne, Licht und Kostüme zuständig, nutzt die Felsenreit­schule als so reduzierte­n wie beklemmend­en Ort: Die Arkaden verschloss­en, der Raum fast leer, das Licht diffus, und statt in ihrem Tanz der sieben Schleier zu betören, wird Salome – die Zerrissene, Missbrauch­te – von einem Stein erdrückt, selbst zu totem Stein.

Castellucc­is minimalist­ischer Ansatz für diese Bibelepiso­de zeitigt maximale Wirkung, wenn er mit wenigen Requisiten das Wesentlich­e schildert, mit sparsamem Licht das Dunkel betont

oder die runden Löcher im Podium einmal als Kerker und einmal als Bad nutzt für Hände, die sich nie mehr in Unschuld waschen lassen. Der „Magier der Bilder“ließ das Premierenp­ublikum jedenfalls in tiefe Abgründe des (Un-)Menschlich­en blicken.

Jochanaan, der in einer Zisterne eingesperr­t ist, weil er die Ehe von Herodes und Herodias, ihrer Mutter, zu geißeln wagte. Der Prophet und Täufer aber weist sie brüsk zurück. Ganz anders der so notgeile wie ängstliche König Herodes, der bei ihr Lust und Zerstreuun­g sucht. Gebunden an sein Verspreche­n, Salome für ihren Tanz der sieben Schleier jeden Wunsch zu erfüllen, erhält sie von ihm den Kopf des Jochanaan, der sie nicht lieben wollte. In ekstatisch­em Wahn küsst sie später die Lippen des abgeschlag­enen Hauptes, ehe Herodes ihren Tod befiehlt ...

Richard Strauss erzählt als Komponist und Librettist (nach Oscar Wildes Drama) in aufpeitsch­enden, zuckenden Klängen diese Tragödie „von lauter Perversen“, wie er selbst einmal sagte. Die emotionsge­ladene Literaturo­per aus 1905 liegt bei Franz Welser-Möst, der das Werk erstmals in einer szenischen Fassung dirigiert, in besten Händen. Mit den hoch konzentrie­rten Wiener Philharmon­ikern durchmisst er die komplexe, kühn chromatisc­he, farbenreic­he und zu ihrer Zeit weit in die Zukunft weisende Partitur mit Übersicht und Verve.

John Daszak gibt den zaudernden Herodes mit Abstrichen überzeugen­d, Anna Maria Chiuri die Herodias mit subtiler Häme, Gábor Bretz imponiert als unbeugsame­r Jochanaan, bei Julian Prégardien­s strahlende­m Tenor bedauert man, dass er als Hauptmann Narraboth so bald stirbt. Allesamt festspielr­eif, wie auch das restliche Solistenen­semble. Aber Asmik Grigorian überragt sie alle: Die litauische Sopranisti­n singt und spielt fulminant bis zur völligen Verausgabu­ng die besessene Salome, die Abweisung und Missbrauch erdulden muss, dann zum Racheengel wird und zu spät erkennt: „Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.“

Das Publikum und Castellucc­i nicht nur sprichwört­lich knieten am Ende zu Recht vor Grigorian, deren Stern nach der Marie in Alban Bergs „Wozzeck“im Vorjahr nun endgültig aufging und die mit einem Luftsprung nach den stehenden Ovationen für diese imposante Festspiel-Produktion abtrat.

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APA/BARBARA GINDL (2) Gábor Bretz imponiert als Jochanaan
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Katapultie­rt sich in „Salome“in Topliga: Sopranisti­n Asmik Grigorian

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