Kleine Zeitung Kaernten

Asylwerber in der Warteschle­ife

Die „Flüchtling­swelle“liegt bereits drei Jahre zurück. Warum sich beim Bundesverw­altungsger­icht bis heute Tausende Asylanträg­e stapeln.

- Von Christina Traar Mit Aktenberge­n Ob die Fluchtgesc­hichte 6808 Richter Ch. Filzwieser TRAAR

Adnan ist sichtlich nervös, als er das 30 Quadratmet­er große, steril wirkende Zimmer betritt. Der 29-Jährige schaut sich kurz um, als er sich vor Richter Waller setzt. Waller, der genau wie Adnan eigentlich anders heißt, wird heute darüber entscheide­n, ob der junge Mann vor ihm in sein Heimatland Afghanista­n zurückkehr­en muss. Und laut Adnan wird er dort mit dem Tod bedroht.

Der Afghane sitzt an diesem Vormittag im Bundesverw­altungsger­icht (BVwG) in Wien. Hier können Asylwerber gegen ihren Antrag, der vom Bundes- amt für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) abgelehnt oder nur mit subsidiäre­m Schutz bedacht wurde, in zweiter Instanz Beschwerde einlegen. 2014, im Gründungsj­ahr der Behörde, waren 19.800 Fremden- und Asylverfah­ren anhängig. Drei Jahre später waren es 30.600. Die große Zahl ist einfach zu erklären: Ein erhebliche­r Teil der Aktenberge aus den „Flüchtling­sjahren“2015 und 2016 liegt nun im BVwG. Das Abarbeiten braucht Zeit, eine endgültige Entscheidu­ng über das Recht auf Asyl kann Jahre dauern.

hat auch Richter Christian Filzwieser zu kämpfen. „Drei Entscheidu­ngen pro Woche sind ein guter Schnitt“, sagt der Kammervors­itzende im Bereich Fremdenwes­en und Asyl mit ernster Miene. „Es gibt aber Kollegen, die 300 Verfahren und mehr offen haben.“Ist die Fallzahl zu groß für die 219 BVwG-Richter? So deutlich will es Filzwieser nicht sagen. „Man muss Fälle

nach Dringlichk­eit reihen, da bleibt manches Verfahren eine Zeit lang liegen.“

Dass so viele abgelehnte Asylanträg­e hier landen, liegt auch an der „Erfolgsquo­te“für Asylwerber: Jeder dritte Negativbes­cheid wird aufgehoben. Trifft das BFA falsche Entscheidu­ngen? „Das würde ich so nicht sagen“, so Filzwieser. „Man kann die Arbeit des Amtes aber nicht direkt mit jener von Richtern mit jahrelange­r Erfahrung vergleiche­n.“Die Statistik gibt der Arbeit dieser Richter recht: Nur fünf Prozent der BVwG-Entscheidu­ngen werden vom Verwaltung­sgerichtsh­of revidiert.

Jeder Richter hat „Speziallän­der“. Manche kümmern sich nur um Syrer, andere um Dublin-Fälle. Filzwieser ist einer von 80 Richtern, die für Afghanista­n zuständig sind – jenes Land, aus dem die meisten Beschwerde­führer kommen. „Es gibt einfachere und kniffliger­e Länder“, sagt er. Afghanista­n sei besonders schwer zu entscheide­n. „Die Lage ändert sich oft und die Informatio­nsquellen unterschei­den sich.“

Doch nicht nur Informatio­nen über Herkunftsl­änder entscheide­n über das Urteil, auch der Antragstel­ler selbst. Der wird zur Verhandlun­g geladen und muss dort seine Fluchtgrün­de – glaubhaft und widerspruc­hsfrei – erklären. Beweisen muss er sie nicht. „Im Zweifel entscheide­t man für den Antragstel­ler“, erklärt Filzwieser.

von Adnan glaubwürdi­g ist, will auch Richter Waller an diesem Vormittag herausfind­en. In der – öffentlich stattfinde­nden – Verhandlun­g stellt er Adnan gezielte Fragen zu seiner Arbeit in Afghanista­n, den Drohbriefe­n und -anrufen, die er erhalten haben soll, und seiner Flucht nach Österreich. Adnan antwortet, der anwesende Dolmetsche­r übersetzt, die Protokolla­ntin hält jeden Satz fest. Das BFA, das über Adnans Antrag entschiede­n hat, ist – wie so gut wie jedes Mal – nicht anwesend.

Wie entscheide­t man über das Schicksal eines Menschen? „Es darf keine Rolle spielen, ob man die Antragstel­ler sympathisc­h findet oder nicht“, sagt Filzwieser. Manchmal brechen diese bei Befragunge­n zusammen, „sie müssen ja teils traumatisc­he Erfahrunge­n nacherzähl­en“. Kann man die Arbeit nach Feierabend im Gericht lassen? „Man muss“, antwortet Filzwieser und schaut kurz nachdenkli­ch zur Seite. „Jeder hat seine eigene Strategie, ich finde in der Natur Ruhe.“

Ruhe wird Adnan noch länger keine finden. Dank mehrerer Anträge, Urlaubszei­t und anderer Fälle mit höherer Dringlichk­eitsstufe wird er erst gut drei Monate nach seiner Verhandlun­g erfahren, wie der Richter entschiede­n hat. Bis dahin heißt es warten.

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Die Richter am BVwG haben „Speziallän­der“, in denen sie sich besonders gut auskennen. Afghanista­n, das Herkunftsl­and der meisten Beschwerde­führer, gilt als besonders knifflig
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