Asylwerber in der Warteschleife
Die „Flüchtlingswelle“liegt bereits drei Jahre zurück. Warum sich beim Bundesverwaltungsgericht bis heute Tausende Asylanträge stapeln.
Adnan ist sichtlich nervös, als er das 30 Quadratmeter große, steril wirkende Zimmer betritt. Der 29-Jährige schaut sich kurz um, als er sich vor Richter Waller setzt. Waller, der genau wie Adnan eigentlich anders heißt, wird heute darüber entscheiden, ob der junge Mann vor ihm in sein Heimatland Afghanistan zurückkehren muss. Und laut Adnan wird er dort mit dem Tod bedroht.
Der Afghane sitzt an diesem Vormittag im Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in Wien. Hier können Asylwerber gegen ihren Antrag, der vom Bundes- amt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) abgelehnt oder nur mit subsidiärem Schutz bedacht wurde, in zweiter Instanz Beschwerde einlegen. 2014, im Gründungsjahr der Behörde, waren 19.800 Fremden- und Asylverfahren anhängig. Drei Jahre später waren es 30.600. Die große Zahl ist einfach zu erklären: Ein erheblicher Teil der Aktenberge aus den „Flüchtlingsjahren“2015 und 2016 liegt nun im BVwG. Das Abarbeiten braucht Zeit, eine endgültige Entscheidung über das Recht auf Asyl kann Jahre dauern.
hat auch Richter Christian Filzwieser zu kämpfen. „Drei Entscheidungen pro Woche sind ein guter Schnitt“, sagt der Kammervorsitzende im Bereich Fremdenwesen und Asyl mit ernster Miene. „Es gibt aber Kollegen, die 300 Verfahren und mehr offen haben.“Ist die Fallzahl zu groß für die 219 BVwG-Richter? So deutlich will es Filzwieser nicht sagen. „Man muss Fälle
nach Dringlichkeit reihen, da bleibt manches Verfahren eine Zeit lang liegen.“
Dass so viele abgelehnte Asylanträge hier landen, liegt auch an der „Erfolgsquote“für Asylwerber: Jeder dritte Negativbescheid wird aufgehoben. Trifft das BFA falsche Entscheidungen? „Das würde ich so nicht sagen“, so Filzwieser. „Man kann die Arbeit des Amtes aber nicht direkt mit jener von Richtern mit jahrelanger Erfahrung vergleichen.“Die Statistik gibt der Arbeit dieser Richter recht: Nur fünf Prozent der BVwG-Entscheidungen werden vom Verwaltungsgerichtshof revidiert.
Jeder Richter hat „Spezialländer“. Manche kümmern sich nur um Syrer, andere um Dublin-Fälle. Filzwieser ist einer von 80 Richtern, die für Afghanistan zuständig sind – jenes Land, aus dem die meisten Beschwerdeführer kommen. „Es gibt einfachere und kniffligere Länder“, sagt er. Afghanistan sei besonders schwer zu entscheiden. „Die Lage ändert sich oft und die Informationsquellen unterscheiden sich.“
Doch nicht nur Informationen über Herkunftsländer entscheiden über das Urteil, auch der Antragsteller selbst. Der wird zur Verhandlung geladen und muss dort seine Fluchtgründe – glaubhaft und widerspruchsfrei – erklären. Beweisen muss er sie nicht. „Im Zweifel entscheidet man für den Antragsteller“, erklärt Filzwieser.
von Adnan glaubwürdig ist, will auch Richter Waller an diesem Vormittag herausfinden. In der – öffentlich stattfindenden – Verhandlung stellt er Adnan gezielte Fragen zu seiner Arbeit in Afghanistan, den Drohbriefen und -anrufen, die er erhalten haben soll, und seiner Flucht nach Österreich. Adnan antwortet, der anwesende Dolmetscher übersetzt, die Protokollantin hält jeden Satz fest. Das BFA, das über Adnans Antrag entschieden hat, ist – wie so gut wie jedes Mal – nicht anwesend.
Wie entscheidet man über das Schicksal eines Menschen? „Es darf keine Rolle spielen, ob man die Antragsteller sympathisch findet oder nicht“, sagt Filzwieser. Manchmal brechen diese bei Befragungen zusammen, „sie müssen ja teils traumatische Erfahrungen nacherzählen“. Kann man die Arbeit nach Feierabend im Gericht lassen? „Man muss“, antwortet Filzwieser und schaut kurz nachdenklich zur Seite. „Jeder hat seine eigene Strategie, ich finde in der Natur Ruhe.“
Ruhe wird Adnan noch länger keine finden. Dank mehrerer Anträge, Urlaubszeit und anderer Fälle mit höherer Dringlichkeitsstufe wird er erst gut drei Monate nach seiner Verhandlung erfahren, wie der Richter entschieden hat. Bis dahin heißt es warten.