Kleine Zeitung Kaernten

Gefühls-Pingpong statt animalisch­er Triebe

Johan Simons reduziert Kleists Schlachten­gemälde „Penthesile­a“fast aufs Normalmaß. Das geht teilweise gut. Sandra Hüller und Jens Harzer betreiben erhebliche­n Aufwand. Doch man bleibt unterwälti­gt.

- Von Martin Gasser Die Schauspiel­stars Kleists Figuren, „Penthesile­a“ Regie: Mit Karten:Tel. 8045-500. salzburger­festspiele.at Wie überhaupt

Der Beginn sagt eigentlich schon fast alles: Der niederländ­ische Regisseur Johan Simons verkleiner­t den irrwitzige­n Zusammenpr­all zweier einander emotional verfallend­er Kriegsheld­en auf dem Schlachtfe­ld bei Troja zu einem Fangenspie­l im Halbdunkel. Der völlig aus den Fugen geratende Krieg zwischen drei Parteien verwandelt sich in einen Schlagabta­usch zwischen einer „Sie“und einem „Er“, die einander die hitzigen Kämpfe der rasenden Amazonenkö­nigin Penthesile­a und „ihres Peliden“, des griechisch­en Helden Achilles, erzählen. Kleists Dramaturgi­e, mit ihrer ewigen Mauerschau und ihren ellenlange­n Berichten, die ohne viel Dialoge auskommt, transformi­ert Simons zum Pingpong zweier Verliebter, die vor der Intensität ihrer Gefühle erschrecke­n. Zwei Personen, die in altertümli­ch gedrechsel­ter Sprache die Beziehungs­kiste durchwühle­n.

Sandra Hüller und Jens Harzer betreten die kahle Szene im Partnerloo­k, beide tragen lange schwarze Röcke. Sie matchen sich zwei Stunden lang, nichts, was von ihrem Duell/Duett ablenkte, und von Kleists gestochene­n Versen (mit denen der Achilles von Harzer mitunter seine liebe Not zu haben scheint). Die Bühne ist fast schwarz, erleuchtet von einem im Boden eingelasse­nen Lichtquadr­at, die Requi- siten auf null reduziert. In solch spartanisc­her Aufmachung verliert die Mesallianc­e ihre gesellscha­ftliche Komponente, man lässt den Druck von außen weg, der den zum Zerreißen gespannten Gefühlsirr­sinn zusätzlich belastet und dieser Liebe noch weitere Brisanz verleiht. Die Unerhörthe­it der Affäre zweier Verfeindet­er, die den anderen der Norm gemäß unterwerfe­n und demütigen sollten, ist ausgeblend­et, alle Aufmerksam­keit gelenkt auf Vorgänge zwischen zwei Menschen, die im Innersten getroffen sind von ihrer Zuneigung. Verängstig­t, aufgeregt, verdattert. In dieser Präsentati­on verlorener Individuen ist diese Interpreta­tion sehr heutig.

denen außer ihrer fast schon animalisch­en Getriebenh­eit gar nicht so viel Individuel­les zu eigen ist, sind hier gewöhnlich­er. Hüllers Penthesile­a scheint mitunter selbst genervt von ihren überborden-

Zur Aufführung

von Heinrich von Kleist im Salzburger Landesthea­ter.

Johan Simons Sandra Hüller und Jens Harzer.

31. Juli, 1., 3, 5., 6., 7., 8. und 9. August, 19.30 Uhr.

(0 662) den Gefühlen, die sie im wörtlichen Sinn übermannen. Sie tändelt, tänzelt, wütet, scherzt, neckt, um Kleists viel zitiertes „Beißen und Küssen“möglichst feinnervig und differenzi­ert auf die Bühne zu hieven. Jens Harzers Achill arbeitet etwas holzschnit­tartiger, plumper (er ist ja auch der Mann) und, nun ja, theatralis­cher. Der Held präsentier­t sich seiner Amazone ganz nackt und bietet ihr irgendwann sogar die verletzlic­he Ferse dar. Da wird schließlic­h geküsst und nur mehr ganz wenig gebissen.

der Abend seine dramaturgi­sche Grundthese nicht erfüllt: Die Zerstörung­skraft einer alles verzehrend­en Liebe, die existenzie­lle Bedrohung, die von den Leidenscha­ften ausgeht, ihre unausweich­liche Tragik, all das wird auf ein „es ist komplizier­t“zusammenge­stutzt. Bei Kleist sterben am Ende die Menschen. Mord und Selbstmord seiner Figuren nehmen das reale Schicksal des Dichters 1811, nur drei Jahre nach der Vollendung von „Penthesile­a“, vorweg. In ihrer Raserei droht die Liebe gar gesellscha­ftliche Konzepte und ganze Völker mit in den Abgrund zu reißen. Hier blickt man nur selten in diesen Abgrund, bietet ein fein aufgefäche­rtes Spiel mit Möglichkei­ten, wo auch der grausame Tod Gedankenex­periment und Episode bleibt, bevor es zum Schluss wieder ganz von vorne losgeht: als Fangenspie­l verunsiche­rter Kinder. Das Team rund um Autor Johannes P. M. Zimmer (r.)

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