Es gibt zwei Möglichkeiten, vor dem Elend des Lebens zu flüchten: Musik und Katzen
Zum heutigen Weltkatzentag: die Kulturgeschichte des Stubentigers – eine Betrachtung von Kleine-Zeitung-Autor Bertram Karl Steiner.
Du heißt Schweindi (katzenaffine Menschen werden erahnen, warum …), du stammst wie dein verstorbener Bruder Garlic aus sehr rustikalen Verhältnissen, aus dem idyllischen Lavanttale, dem Garten der Göttin Pomona. Über 23 Jahre bist du alt, ein kätzischer Methusalem. Epitaph, also Nachruf, ist bis heute Nachmittag noch ein Vorgriff, denn noch atmest du und trinkst ein paar Schlückchen Katzensuppe (das gibt es), aber, du weißt es selber: „Es ist der Weg des Todes, den wir treten, mit jedem Schritt wird meine Seele stiller“, würdest du aus Goethes „Iphigenie auf Tauris“rezitieren, übersetzt in dein schon ganz leise gewordenes „Miau!“. Ihr beide, ihr „Gebrüder“seid uns vor 23 Jahren sozusagen zugefallen, wie es sich immer so fügt: Katzen erwirbt der Mensch nicht, er erhält sie. Aufgewachsen, herangereift zum „edlen Kater“(E. T. A. Hoffmann, „Kater Murr“) bist du in einer bis zum Blödsinn Familie. Alles drehte sich um euch.
Wir erinnern uns; da war vor Jahrzehnten, an den Gestaden des Atlantiks, unser Murgazza, der schwarze bretonische Bauernkater, dessen Heroismus geradezu homerische Ausmaße aufwies, wenn er dem vor Wut geifernden zotteligen Nachbarshund aus einem Gebüsch heraus auf den Rücken sprang und ihm die Nase zerkratzte; Murgazzas Fell war kohlschwarz, ein winziges weißes Beffchen am Hals mochte ihn als Abbé ausweisen. Dann kam Alma, die kätzische Erscheinungsform der schlimmen Alma Mahler-Werfel (sie liebte es über alles, im Bett Herrchen und Frauchen kräftig in die Zehen zu beißen), bald darauf Saskia, die sanftmütige Kätzin aus dem Hof, die sich uns miauend zu ihrem Personal auserkor. Überhaupt erscheint, was Katzen betrifft, ein Begriff wie „Herrchen und Frauchen“deplatziert: Wir Menschen sind nämlich das Personal, alleine zu dem Zwecke auf dieser Welt, den Wünschen und Begierden ihrer Katzen pünktlich zu entsprechen.
Und schließlich Garlic, der unserem Schweindi in den Katzenhimmel vorausgegangen ist: ein wüster Zeitgenosse, ausgestattet mit rarer krimineller Energie, welche ihn dazu befähigte, mit seinen Krallen den Kühlschrank zu öffnen. Man halte sich die Folgen vor Augen …
Woher nimmt das aristokratische Geschlecht der Katzen seinen hohen Sinn (nicht seinen Hochmut, denn für plebejische Ressentiments sind sie sich zu gut …)? Ich habe mir dazu eine private Mythologie erträumt, fernab von jeglicher Wissenschaftlichkeit. Im alten Ägypten verehrte man bekanntlich löwenhäuptige Gottheiten, die mütterliche Isis, vor allem aber Sechmet, eine durchaus blutgierige Dame. Ihre Priester freilich dürften sich bald mit einem Personalkatzenaffinen problem konfrontiert gesehen haben: Wann immer sie den Tempel betraten, bediente sich die dortselbst wohnhafte Löwin am deliziösen Angebot – jenseits noch von Kitekat, Sheba etc.; mit der Folge, dass der ägyptische Klerus besorgniserregend
A schrumpfte. lso kam man überein, eine pflegeleichtere Miniaturausgabe der Großkatzen heranzuzüchten, Bastet, die Katzengöttin. Ihr erwies man alle Ehren und umsorgte sie, bis schließlich alle ihrer miauenden Nachkommen mit der tiefen Überzeugung heranwuchsen, sie und nicht etwa des Pharaos Familie wären die eigentlichen Herrinnen und Herren am Nil.
Überhaupt, der Klerus und die Katzen; eine durchaus wechselvolle, zuweilen tragiextravaganten
wenn auch oft ruhmreiche Beziehung. Zunächst fällt uns an jeder Kirchenkanzel der Evangelist mit seinem Löwen als Attribut auf: der Evangelist Markus. Der Legende nach soll es ihn auf einer seiner Missionsreisen in die sumpfigen Lagunen des heutigen Venedig verschlagen haben. Begleitet war er von seinem Hauslöwen. Dort gestrandet habe er prophezeit, dass inmitten der Ödnis eine Stadt aus Marmor erstehen würde: Der Gründungsmythos der Serenissima, der allerdurchlauchtigsten Republik Venedig, des Katzenstaates schlechthin war geboren. Seine Flügel hat sich der Markuslöwe in der Geheimen Offenbarung des heiligen Johannes ausgeborgt, wo von vier geflügelten Wesen die Rede ist, die vor dem Throne Gottes
stehen, darunter ein geflügelter Löwe. Kolossales Selbstbewusstsein erwuchs aus dieser Tradition den Venezianern für anderthalb Jahrtausende: Auf einem der Sockel der Fahnenmasten der katzenstolzen venezianischen Kolonie Piran steht unter einem ergreifenden Katzenrelief geschrieben: „Sieh hier den flügeltragenden Löwen, der die Sterne und die Erde umfängt!“
Der heilige Hieronymus, genialer spätantiker Übersetzer der Bibel ins Lateinische, hatte sich für seine Arbeit in eine Einsiedelei in Judäas Wüste zurückgezogen. Während er Tag und Nacht schrieb, bewachte ihn dabei sein mächtiger, offenbar gutmütiger Hauslöwe …
Aber es ging bedauerlicherweise auch anders, vielleicht war in Teilen auch des christlichen Klerus eine alte Rancune wegen der kätzischen Blutgesche, lüste im alten Ägypten erhalten geblieben, jedenfalls wurden im Mittelalter Katzen mitunter mit dämonischen Geistern in Verbindung gebracht und grausam verfolgt. Freilich erblühte in der heiligen Gertrude von Nivelles, einer engen Verwandten des fränkischen Geschlechtes der Merowinger – sie wird immer mit einer Katze dargestellt – den Katzen eine von der Kirche
W anerkannte Schutzpatronin. ie auch immer, obenauf befinden sie sich immer wieder, die Katzen. In der Literatur, in den Gassen von Venedig, am Forum Romanum, im Cluny-Park, im Vatikan. Der deutsche Romantiker E. T. A. Hoffmann setzte seinem „Kater Murr“und dem Katzentum überhaupt ein Denkmal, „aere perennius“, dauerhafter als Erz; Charles Baudelaire, der eminenteste Lyriker der französischen Literatur, verfasste delirierende Gedichte an die Katzen.
Und, ach ja, FrançoisRené de Chateaubriand (1768–1848) epochaler Literat, Diplomat, Außenminister, liberaler Denker und gleichzeitig Philosoph der seriösen (daher keineswegs „türkisen“) konservativen Tradition, erbte einen Kater von unerreichbar hohem geistlichem Rang: In seiner Amtszeit als französischer Botschafter beim Heiligen Stuhl hatte er sich mit Micetto befreundet, dem Leibkater des Papstes Leo XII. Der Papst hatte Micetto in der Gosse vorgefunden und mitgenommen. Fortan war der Kater sozusagen Herr des päpstlichen Hauses, stets präsent bei allen Audienzen und Verhandlungen. Als Leo XII. verstarb, vermachte er seinen geliebten Micetto dem Vicomte de Chateaubriand. Das Tier wurde nach Paris verbracht, dort umschwärmte und verwöhnte ihn ein Kranz fromm verzückter Damen bis zu seinem seligen Ende … „Le Chat du Pape …“
Es ist der vermutlich humanistisch gebildetste Herr, dem ich in Klagenfurt begegnet bin, er ist ein inzwischen pensionierter unauffälliger Angestellter bei der Caritas, dem ich eine tiefsinnige kulturphilosophische Unterscheidung verdanke. Er spricht von der „Hundheit“, aber vom „KATZENTUM“. Hundeliebhaber mögen uns verzeihen, aber …
Jetzt werde ich meinem moribunden Schweindi das alles ins Ohr sagen und ihm dabei die Genüsse ausmalen, die ihn im Katzenhimmel erwarten. Miau!