Kleine Zeitung Kaernten

Es gibt zwei Möglichkei­ten, vor dem Elend des Lebens zu flüchten: Musik und Katzen

Zum heutigen Weltkatzen­tag: die Kulturgesc­hichte des Stubentige­rs – eine Betrachtun­g von Kleine-Zeitung-Autor Bertram Karl Steiner.

- Albert Schweitzer, Arzt und Philosoph, 1875–1965

Du heißt Schweindi (katzenaffi­ne Menschen werden erahnen, warum …), du stammst wie dein verstorben­er Bruder Garlic aus sehr rustikalen Verhältnis­sen, aus dem idyllische­n Lavanttale, dem Garten der Göttin Pomona. Über 23 Jahre bist du alt, ein kätzischer Methusalem. Epitaph, also Nachruf, ist bis heute Nachmittag noch ein Vorgriff, denn noch atmest du und trinkst ein paar Schlückche­n Katzensupp­e (das gibt es), aber, du weißt es selber: „Es ist der Weg des Todes, den wir treten, mit jedem Schritt wird meine Seele stiller“, würdest du aus Goethes „Iphigenie auf Tauris“rezitieren, übersetzt in dein schon ganz leise gewordenes „Miau!“. Ihr beide, ihr „Gebrüder“seid uns vor 23 Jahren sozusagen zugefallen, wie es sich immer so fügt: Katzen erwirbt der Mensch nicht, er erhält sie. Aufgewachs­en, herangerei­ft zum „edlen Kater“(E. T. A. Hoffmann, „Kater Murr“) bist du in einer bis zum Blödsinn Familie. Alles drehte sich um euch.

Wir erinnern uns; da war vor Jahrzehnte­n, an den Gestaden des Atlantiks, unser Murgazza, der schwarze bretonisch­e Bauernkate­r, dessen Heroismus geradezu homerische Ausmaße aufwies, wenn er dem vor Wut geifernden zotteligen Nachbarshu­nd aus einem Gebüsch heraus auf den Rücken sprang und ihm die Nase zerkratzte; Murgazzas Fell war kohlschwar­z, ein winziges weißes Beffchen am Hals mochte ihn als Abbé ausweisen. Dann kam Alma, die kätzische Erscheinun­gsform der schlimmen Alma Mahler-Werfel (sie liebte es über alles, im Bett Herrchen und Frauchen kräftig in die Zehen zu beißen), bald darauf Saskia, die sanftmütig­e Kätzin aus dem Hof, die sich uns miauend zu ihrem Personal auserkor. Überhaupt erscheint, was Katzen betrifft, ein Begriff wie „Herrchen und Frauchen“deplatzier­t: Wir Menschen sind nämlich das Personal, alleine zu dem Zwecke auf dieser Welt, den Wünschen und Begierden ihrer Katzen pünktlich zu entspreche­n.

Und schließlic­h Garlic, der unserem Schweindi in den Katzenhimm­el vorausgega­ngen ist: ein wüster Zeitgenoss­e, ausgestatt­et mit rarer kriminelle­r Energie, welche ihn dazu befähigte, mit seinen Krallen den Kühlschran­k zu öffnen. Man halte sich die Folgen vor Augen …

Woher nimmt das aristokrat­ische Geschlecht der Katzen seinen hohen Sinn (nicht seinen Hochmut, denn für plebejisch­e Ressentime­nts sind sie sich zu gut …)? Ich habe mir dazu eine private Mythologie erträumt, fernab von jeglicher Wissenscha­ftlichkeit. Im alten Ägypten verehrte man bekanntlic­h löwenhäupt­ige Gottheiten, die mütterlich­e Isis, vor allem aber Sechmet, eine durchaus blutgierig­e Dame. Ihre Priester freilich dürften sich bald mit einem Personalka­tzenaffine­n problem konfrontie­rt gesehen haben: Wann immer sie den Tempel betraten, bediente sich die dortselbst wohnhafte Löwin am deliziösen Angebot – jenseits noch von Kitekat, Sheba etc.; mit der Folge, dass der ägyptische Klerus besorgnise­rregend

A schrumpfte. lso kam man überein, eine pflegeleic­htere Miniaturau­sgabe der Großkatzen heranzuzüc­hten, Bastet, die Katzengött­in. Ihr erwies man alle Ehren und umsorgte sie, bis schließlic­h alle ihrer miauenden Nachkommen mit der tiefen Überzeugun­g heranwuchs­en, sie und nicht etwa des Pharaos Familie wären die eigentlich­en Herrinnen und Herren am Nil.

Überhaupt, der Klerus und die Katzen; eine durchaus wechselvol­le, zuweilen tragiextra­vaganten

wenn auch oft ruhmreiche Beziehung. Zunächst fällt uns an jeder Kirchenkan­zel der Evangelist mit seinem Löwen als Attribut auf: der Evangelist Markus. Der Legende nach soll es ihn auf einer seiner Missionsre­isen in die sumpfigen Lagunen des heutigen Venedig verschlage­n haben. Begleitet war er von seinem Hauslöwen. Dort gestrandet habe er prophezeit, dass inmitten der Ödnis eine Stadt aus Marmor erstehen würde: Der Gründungsm­ythos der Serenissim­a, der allerdurch­lauchtigst­en Republik Venedig, des Katzenstaa­tes schlechthi­n war geboren. Seine Flügel hat sich der Markuslöwe in der Geheimen Offenbarun­g des heiligen Johannes ausgeborgt, wo von vier geflügelte­n Wesen die Rede ist, die vor dem Throne Gottes

stehen, darunter ein geflügelte­r Löwe. Kolossales Selbstbewu­sstsein erwuchs aus dieser Tradition den Venezianer­n für anderthalb Jahrtausen­de: Auf einem der Sockel der Fahnenmast­en der katzenstol­zen venezianis­chen Kolonie Piran steht unter einem ergreifend­en Katzenreli­ef geschriebe­n: „Sieh hier den flügeltrag­enden Löwen, der die Sterne und die Erde umfängt!“

Der heilige Hieronymus, genialer spätantike­r Übersetzer der Bibel ins Lateinisch­e, hatte sich für seine Arbeit in eine Einsiedele­i in Judäas Wüste zurückgezo­gen. Während er Tag und Nacht schrieb, bewachte ihn dabei sein mächtiger, offenbar gutmütiger Hauslöwe …

Aber es ging bedauerlic­herweise auch anders, vielleicht war in Teilen auch des christlich­en Klerus eine alte Rancune wegen der kätzischen Blutgesche, lüste im alten Ägypten erhalten geblieben, jedenfalls wurden im Mittelalte­r Katzen mitunter mit dämonische­n Geistern in Verbindung gebracht und grausam verfolgt. Freilich erblühte in der heiligen Gertrude von Nivelles, einer engen Verwandten des fränkische­n Geschlecht­es der Merowinger – sie wird immer mit einer Katze dargestell­t – den Katzen eine von der Kirche

W anerkannte Schutzpatr­onin. ie auch immer, obenauf befinden sie sich immer wieder, die Katzen. In der Literatur, in den Gassen von Venedig, am Forum Romanum, im Cluny-Park, im Vatikan. Der deutsche Romantiker E. T. A. Hoffmann setzte seinem „Kater Murr“und dem Katzentum überhaupt ein Denkmal, „aere perennius“, dauerhafte­r als Erz; Charles Baudelaire, der eminentest­e Lyriker der französisc­hen Literatur, verfasste delirieren­de Gedichte an die Katzen.

Und, ach ja, FrançoisRe­né de Chateaubri­and (1768–1848) epochaler Literat, Diplomat, Außenminis­ter, liberaler Denker und gleichzeit­ig Philosoph der seriösen (daher keineswegs „türkisen“) konservati­ven Tradition, erbte einen Kater von unerreichb­ar hohem geistliche­m Rang: In seiner Amtszeit als französisc­her Botschafte­r beim Heiligen Stuhl hatte er sich mit Micetto befreundet, dem Leibkater des Papstes Leo XII. Der Papst hatte Micetto in der Gosse vorgefunde­n und mitgenomme­n. Fortan war der Kater sozusagen Herr des päpstliche­n Hauses, stets präsent bei allen Audienzen und Verhandlun­gen. Als Leo XII. verstarb, vermachte er seinen geliebten Micetto dem Vicomte de Chateaubri­and. Das Tier wurde nach Paris verbracht, dort umschwärmt­e und verwöhnte ihn ein Kranz fromm verzückter Damen bis zu seinem seligen Ende … „Le Chat du Pape …“

Es ist der vermutlich humanistis­ch gebildetst­e Herr, dem ich in Klagenfurt begegnet bin, er ist ein inzwischen pensionier­ter unauffälli­ger Angestellt­er bei der Caritas, dem ich eine tiefsinnig­e kulturphil­osophische Unterschei­dung verdanke. Er spricht von der „Hundheit“, aber vom „KATZENTUM“. Hundeliebh­aber mögen uns verzeihen, aber …

Jetzt werde ich meinem moribunden Schweindi das alles ins Ohr sagen und ihm dabei die Genüsse ausmalen, die ihn im Katzenhimm­el erwarten. Miau!

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FOTOLIA, APA (2)
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In Österreich gibt es circa 1,5 Millionen Katzen

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