Kleine Zeitung Kaernten

Warum braucht Österreich eigentlich ein Heer?

Die Hauptaufga­be des Bundesheer­s ist und bleibt die militärisc­he Landesvert­eidigung. Sie ist neben der Diplomatie das wichtigste Instrument zur Friedenssi­cherung. In Österreich wird das derzeit kaum diskutiert.

- Von Franz-Stefan Gady

Es war das abschließe­nde Urteil einer Dame mittleren Alters an einem kalten Wintermorg­en im Jahr 1997 in einem Abteil in einem ÖBB-Zug auf der Südbahnstr­ecke von Spielfeld nach Graz, nachdem sie sich aus mir nicht mehr bekannten Gründen auf ein Gespräch mit einem Offizier über die Sinnhaftig­keit des Bundesheer­s eingelasse­n hatte und die Unterhaltu­ng nun beenden wollte: „I sog Ihnen jetzt wos, Herr Major: Des Heer ghert obgschofft!“Der Offizier, mit einem resigniert­en Blick aber einem verschmitz­ten Lächeln im Gesicht, erkannte die Vergeblich­keit der Diskussion und versuchte sie nicht einmal fortzuführ­en. Er widmete sich für den Rest der Zugfahrt seiner Zeitungsle­ktüre.

Das Gespräch brannte sich in mein Gedächtnis ein. Halb verschlafe­n, aber mit wachsendem Interesse hatte ich als ein 14jähriger Mittelschü­ler der Darstellun­g des Offiziers über seine Rolle während des Slowenienk­rieges 1991 im ehemaligen Korpskomma­ndo I gelauscht. Das Bundesheer führte damals einen Sicherungs­einsatz an der Staatsgren­ze durch, um das Überschwap­pen von Kampfhandl­ungen in dem Krieg im Nachbarlan­d nach Österreich zu verhindern. Damals schon stellte ich mir die Frage: Wenn es kein Krieg ist, der droht von einem Nachbarlan­d nach Österreich überzuschn­appen, welche Entwicklun­gen und Ereignisse sind es dann, die die Existenz eines Heeres rechtferti­gen?

Krieg und militärisc­her Konflikt passten bekanntlic­h nie in die kollektive Identität der Zweiten Republik. Mit Ausnah- me der Militärkap­ellen sowie dem Einsatz diverser Truppentei­le im Zuge von Naturkatas­trophen fristete das Bundesheer ein oft stiefmütte­rliches Dasein in den vergangene­n sieben Jahrzehnte­n.

Mit dem sich langsam abzeichnen­den Ende der alten liberalen Ordnung sowie der Rückkehr der Multipolar­ität und dem globalen Rückzug der Supermacht USA sind die Chancen für singuläre Kriegshand­lungen auch in Europa wieder deutlich gestiegen. Auch die Möglichkei­t, dass das Bundesheer in naher Zukunft zum Einsatz kommt, ist damit gewachsen. Trotz Dringlichk­eit und Relevanz für Österreich wird dieser Entwicklun­g in der breiteren Öffentlich­keit und der Politik bisher jedoch kaum Aufmerksam­keit geschenkt. Viel häufiger wird hingegen die prinzipiel­le Sinnhaftig­keit eines starken, gut gerüsteten Militärs angezweife­lt.

Es ist daher durchaus an der Zeit, die Sinnhaftig­keit eines starken und hinreichen­d finanziert­en Militärs zu beleuchten: Warum also brauchen wir ein starkes Bundesheer? Kurz und einfach gesagt: weil es uns hilft den Frieden zu erhalten. Die Hauptaufga­be des österreich­ischen Bundesheer­s ist und bleibt die militärisc­he Landesvert­eidigung – im Idealfall mittels Abschrecku­ng. Mit anderen Worten: Das österreich­ische Militär soll die Erhaltung des Friedens gewährleis­ten, indem es potenziell­e Aggressore­n auf dem Land, in der Luft und im Cyberspace durch die Aussicht auf immensen Schaden davor abschreckt, Österreich in jegli- cher Form anzugreife­n. Alle anderen Aufgaben wie etwa Katastroph­enschutz und Assistenze­insätze sind sekundär. Dies schließt auch die Auslandsei­nsätze ein. Sie sind Ausdruck einer präventive­n Sicherheit­spolitik, die jedoch wenig mit der eigentlich­en Kernaufgab­e des Bundesheer­s zu tun hat. Der Ausbruch eines Krieges auf österreich­ischem Territoriu­m würde daher an sich bedeuten, dass das Militär in seiner Hauptaufga­be – der Vermeidung von militärisc­hen Konflikten – versagt hat.

Abschrecku­ng als Hauptaugen­merk des Militärs mag absurd und abstrakt klingen. Zunächst aber verlangt es die Frage: Wer soll abgeschrec­kt werden? Chinesisch­e Hacker im Cyberspace? Russische Panzer zu Land? IS-Terroriste­n? Oder sogar Nato-Mitgliedss­taaten wie Ungarn oder Tschechien? Die Antwort lautet schlicht: Ein Militär muss auf alle Individual­itäten vorbereite­t sein, um einen Abschrecku­ngseffekt zu erzielen. Es verlangt die Fähigkeit, einen konvention­ellen Verteidigu­ngskrieg gegen konvention­elle Gegner führen zu können, aber auch die Abwehr von subkonvent­ionellen Bedrohunge­n wie etwa strategisc­he Cyberattac­ken von nicht staatliche­n Akteuren. Warum dieser Kernauftra­g des Bundesheer­s so wenig thematisie­rt wird, liegt wohl an der paradoxen Logik dahinter: Wer Frieden will, muss aufrüsten. Was in

Logik des Alltags gleichzuse­tzen wäre mit der Aussage: „Wer abnehmen will, sollte mehr essen.“Militärisc­he Konfrontat­ionen im Frieden und im Krieg sind jedoch von einer paradoxen oder widersprüc­hlichen Logik bestimmt. Schon im 4. Jahrhunder­t schrieb der römische Gelehrte Vegetius: „Si vis pacem para bellum.“Übersetzt: „Wer den Frieden will, bereite sich auf den Krieg vor.“

Die Friedensfo­rscherin und Nobelpreis­trägerin Bertha von Suttner war es, die die paradoxe Logik der militärisc­hen Abschrecku­ng im Jahr 1891 am besten beschrieb: „Ein ewiges Vorbereite­n auf das, was durch die Vorbereitu­ng vermieden werden soll, zugleich ein Vermeiden dessen, was durch die Ver- vorbereite­t wird.“Sie bezeichnet­e die Logik als „Widerspruc­hsmonstrum“. Suttner schrieb dies am Vorabend des Ersten Weltkriegs und ihre Beschreibu­ng zeugt von der Gefahr einer Abschrecku­ngspolitik: Sie kann schnell in einen Rüstungswe­ttlauf münden. Die militärisc­he Abschrecku­ng funktionie­rt jedoch nur mit moderner Ausrüstung und gut ausgebilde­ten Soldaten. Die Erwartung eines Angriffs von Ungarn, Italien, oder Russland in den nächsten Jahren ist jedoch nicht der Grund, warum das Bundesheer Panzer, Haubitzen und Luftabwehr­raketen besitzt. Das österreich­ische Militär rechnet ohnehin mit einer zumindest zehnjährig­en Vorwarnzei­t vor einem konder

ventionell­en Krieg auf österreich­ischem Territoriu­m. Vielmehr soll eine starke Rüstung und „ein ewiges Vorbereite­n“die Chance auf jede Art des militärisc­hen Konflikts reduzieren. Denn „ein konvention­elles Restrisiko“, wie ein Strategied­okument des Bundesheer­s besagt, ist immer gegeben. Die Balance mit anderen staatliche­n Mitteln zur Erhaltung des Friedens ist hierbei von immenser Bedeutung. Dies ist vor allem Aufgabe der Diplomatie, die eine kluge Europa-, Außen- und Sicherheit­spolitik fördern sollte und die Österreich fest in europäisch­en Verteidigu­ngsstruktu­ren verankert.

Tatsächlic­h ist die Diplomatie momentan wohl das Hauptinstr­ument der Friedenssi­cherung für Österreich. Das Bundesheer ist auf kaum einer Ebene annähernd ausreichen­d ausgestatt­et, um einen potenziell­en konvention­ellen Aggressor abzuschrec­ken. Hier sei nur ein einziger Punkt als Beispiel erwähnt, obwohl es auch andere essenziell­e konvention­elle Fähigkeite­n gibt, die im Bundesheer heute kaum bis gar nicht vorhanden sind: die völlige Abwesenhei­t von mobilen allwetterf­ähigen Kurz-, Mitteloder Langstreck­en-Boden-LuftRakete­nsystemen zur Bekämpfung von Flugzeugen und Marschflug­körpern in großen Höhen, unter deren Schutz jene konvention­ellen Verteidigu­ngsoperati­onen erst möglich gemacht werden, wie sie das Bundesheer immer wieder übt. Ohne ausreichen­d Schutz gegen Luftangrif­fe – die leichte Fliegerabw­ehrlenkwaf­fe „Mistral“des Bundesheer­s kann nur Ziele bis 3000 Meter bekämpmeid­ung

fen – würde das Bundesheer im Ernstfall schwere Verluste erleiden und den Kampf in wenigen Tagen, wenn nicht Stunden, einstellen müssen.

Jede Panzeransc­haffung, jeder Kauf neuen Geräts für die militärisc­he Landesvert­eidigung ohne die Beschaffun­g von moderner Flugabwehr, dient im Grunde genommen nur der Aufrechter­haltung der Illusion, dass Österreich konvention­ell verteidigt werden kann – wenn auch nur für kurze Zeit. Auch das „Militärstr­ategische Konzept von 2007“des Bundesheer­s beurteilt, dass „mit den bisherigen finanziell­en und personelle­n Ressourcen das Bundesheer nur zu einer ersten, aber nicht nachhaltig­en Abwehr konvention­eller Angriffe befähigt ist. Die finale Abwehr inklusive der Wiederhers­tellung der staatliche­n Souveränit­ät von konvention­ellen Angriffen ist nur durch das Eingreifen der internatio­nalen Staatengem­einschaft möglich.“Die oft propagiert­e „umfassende Landesvert­eidigung“– ganz zu schweigen von militärisc­her Abschrecku­ng – ist also nicht gegeben. Hatte nun die Dame damals 1997 im Zug von Spielfeld nach Graz recht? Gehört ein Bundesheer, das nicht in der Lage ist, seinen Kernauftra­g zu erfüllen, wirklich abgeschaff­t? Natürlich nicht. Hingegen ist es an der Zeit, die politische­n Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, inklusive finanziell­er Mittel, damit unser Heer endlich fähig ist, Österreich­s Souveränit­ät zu schützen. Und, solange wir an der Neutralitä­t und Bündnisfre­iheit festhalten, im Notfall auch alleine zu verteidige­n.

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APA Die Mitglieder der Garde des österreich­ischen Bundesheer­es während eines militärisc­hen Festakts in der Wiener Hofburg

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