Kleine Zeitung Kaernten

Dem Herzen“

INTERVIEW. Alexander Dubˇcek war Galionsfig­ur des Prager Frühlings. Pavol Dubˇcek, sein ältester Sohn, über das Vermächtni­s seines Vaters.

- Von Nina Koren

Wenn Sie an den Prager Frühling denken – was kommt Ihnen als ˇErstes in den Sinn? Die Frage, warum mein Vater so viel riskiert hat. Warum musste er einen Demokratis­ierungspro­zess einleiten, wenn das zu den damaligen Zeiten noch ein so großes Risiko bedeutete? Aber ich weiß zugleich, dass die Mehrheit des Volkes sich diese Öffnung wünschte. Und Credo meines Vaters war es eben, dass sich Politiker nach den Wünschen des Volkes zu richten haben.

War Alexander Dubcˇek ein risikofreu­diger Mensch?

Sein oberstes Ziel war es, den Bürgern ein anständige­s Leben zu ermögliche­n. Da nahm er das Risiko, dass Moskau die Reformen niederschl­agen könnte oder ihm selbst etwas passiert, in Kauf. Bei ihm kam das politische Anliegen einfach aus dem Herzen. Er liebte die Menschen.

Sie waren damals 22 Jahre alt und Medizinstu­dent. Haben Sie sich manchmal geärgert, dass Ihr Vater an so exponierte­r Stelle stand? Die Politik hat uns keine Vorteile gebracht. Weder damals noch heute.

Hat er zu Hause mit seiner Familie über seinen Reformkurs gesprochen?

Kaum. Es gab auch einige engere Mitarbeite­r, mit denen er in der kommunisti­schen Zeit nicht über seine Pläne sprach. Die Zeit, in der er lebte, verlangte nach Taten, nicht nach Reden.

War der Prager Frühling auch für Sie als Student spürbar? Sicher. Dass mein Vater die führende Rolle der Kommunisti­schen Partei gestrichen hat, dass die Presse frei wurde, Religionsf­reiheit zugelassen wurde und man studieren konnte, was man wollte – das hat jeder gemerkt. Für die Demagogen und die orthodoxen Kommuniste­n etwa in der DDR oder Polen muss das natürlich ein Schock gewesen sein. Bei meinem Medizinstu­dium hatte ich jedenfalls Glück: Unsere Professore­n beschäftig­ten sich mehr mit der Heilkunst als mit Politik.

Wie erlebten Sie den Tag, als die Panzer kamen und Ihr Vater verschlepp­t wurde?

Es war ein Gefühl der Ohnmacht. Gegen die Sowjetmach­t kamen wir nicht an. Mein Vater wurde in seinem Amtsbüro abgeholt. Wir wussten mehrere Tage lang nur, dass er verschwund­en war, und hatten keine Ahnung, wo er ist und ob er jemals zurückkomm­en wird. Die Sowjetmach­t hat die Familien nicht informiert, wen sie beseitigen will.

Es gab immer wieder den Vor- wurf, Alexander Dubcˇek hätte das „Moskauer Protokoll“, das die Rücknahme der Reformen und praktisch die Kapitulati­on bedeutete, nicht unterschre­iben dürfen. Ich würde gerne sehen, wie sich diese Kritiker in einer solchen Situation, nach einer Entführung und mehrtägige­n Verhören, verhalten würden. Widerstand hätte Strafen bis zum Erschießen bedeuten können. Mein Vater wollte außerdem jemand anderen aus der entführten tschechosl­owakischen Delegation in Moskau retten, der als Opfer auserkoren war.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria