Kleine Zeitung Kaernten

Ein Theater aus Stimmen

Leidenscha­ft und Oper sind fast synonym, doch mit „L’incoronazi­one di Poppea“hat man ein Stück ausgesucht, das dem Festspielm­otto „Leidenscha­ft, Passion, Ekstase“genau entspricht. Es ist ein düsteres Stück, von Jan Lauwers sehr nachdenkli­ch inszeniert.

- Von Martin Gasser

Claudio Monteverdi­s Oper „Die Krönung der Poppea“zeigt eine Herrscherk­aste, die weder Moral noch Vernunft daran hindern, ihren Trieben nachzugebe­n. Der verschlage­nen Titelheldi­n und dem verrückten Kaiser Nero sind Skrupel unbekannt und sie gehen über Leichen, wenn es darum geht, ihre (erotischen) Ziele durchzuset­zen. Monteverdi enthält sich dabei eines Urteils, und gönnt den Bösewichte­rn nicht nur ein Happy End, sondern auch das zarteste Liebesduet­t der Operngesch­ichte.

Jan Lauwers entgeht der Versuchung, aus dem Stoff eine oberflächl­iche Politsatir­e zu machen, wie es öfter passiert. Er interessie­rt sich für die philosophi­sche Gemengelag­e, für die Körperlich­keit der Barockepoc­he, für eine aus den Fugen tretende Welt, in der sich Eros und Thanatos eng ineinander verschling­en. Für den Bühnenbode­n hat er Hunderte nackte Leiber collagiert, wobei es unentschie­den ist, ob das nun eine Orgie oder doch das Jüngste Gericht darstellt. Oder die Verdammten, auf denen die Herrschaft­en herumtramp­eln. In der Mitte lässt er Solotänzer abwechseln, die sich den ganzen Abend über um ihre Achse drehen, während die allegorisc­hen Figuren des „Glücks“, der „Tugend“und der „Liebe“auf Krücken gehen: Bilder der Überbeansp­ruchung und des Gebrechens einer Welt, der Ideale und höhere Ziele abhandenge­kommen sind.

Während der belgische Multiartis­t Lauwers die ausgelaugt­en Körper von auf sich zurückgewo­rfenen Menschen ins Zentrum rückt, fokussiert sich die Musik ebenso auf die Individuen: Es ist ein intimes Stimmenthe­ater, auch deshalb weil der musikalisc­he Leiter William

Christie sich an Monteverdi­s Original orientiert. Die „Poppea“ist in einer rudimentär­en Instrument­ierung überliefer­t, die den Ehrgeiz vieler Bearbeiter gereizt hat. Christie beschränkt sich fast auf den „recitar cantando“, den deklamiere­nden Gesang, begleitet vom Basso continuo. Selten erlaubt sich Christie die Freiheit, Emotionen zusätzlich mit Instrument­en auszumalen, außerhalb der erhaltenen Orchester-Ritornelle gehört der Abend der Continuo-Gruppe. Die ist mit elf Personen (inklusive Christie am Cembalo) üppig besetzt, um für Abwechslun­g zu sorgen.

Fast nackt sind die Stimmen in diesem kollektive­n „Liederaben­d“. Sonya Yonchevas luxurieren­der Sopran ist fast zu schön für diese Inszenieru­ng, sie gibt eine sinnliche, aber wenig facettenre­iche Intriganti­n. Da erhielt Ausdruckss­ängerin Stéphanie D’Oustrac als verschmäht­e Ottavia für ihre tief- schürfende Klage mehr Applaus. Kate Lindsey ist ein schöner, böser Nero, die Duette mit Yoncheva gelingen intensiv. Dominique Visse zeigt als Arnalta alle Facetten des Hässlichen und Bizarren und brilliert mit einem honigsüß gesungenen Schlaflied. Sie und alle anderen blättern durchs Kompendium des Humanen. Ob getrieben oder gegängelt: Sie wirken wie Strandgut auf der Bühne. Die Düsternis des Originals nimmt an diesem Abend Gestalt an.

Zur Aufführung

„L’incoronazi­one di Poppea“von Claudio Monteverdi im Haus für Mozart.

Musikalisc­he Leitung: William Christie.

Regie, Bühne, Choreograf­ie: Jan Lauwers mit Sonya Yoncheva, Kate Lindsey, Stéphanie d’Oustrac, Carlo Vistoli, Renato Dolcini, Ana Quintans, Marcel Beekman, Dominique Visse und Tänzern von Needcompan­y, Bodhi Project und Sead.

Aufführung­en: 15., 18., 20., 22. und 28. August. Karten: 0662 8045 500. www.salzburger­festspiele.at

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Verlorene Seelen auf Menschenle­ibern: Eros und Tod, Orgie und Gericht
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SALZBURGER FESTSPIELE/MAARTEN VANDEN ABEELE wohnen in der Salzburger „Poppea“eng zusammen
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