Ein Theater aus Stimmen
Leidenschaft und Oper sind fast synonym, doch mit „L’incoronazione di Poppea“hat man ein Stück ausgesucht, das dem Festspielmotto „Leidenschaft, Passion, Ekstase“genau entspricht. Es ist ein düsteres Stück, von Jan Lauwers sehr nachdenklich inszeniert.
Claudio Monteverdis Oper „Die Krönung der Poppea“zeigt eine Herrscherkaste, die weder Moral noch Vernunft daran hindern, ihren Trieben nachzugeben. Der verschlagenen Titelheldin und dem verrückten Kaiser Nero sind Skrupel unbekannt und sie gehen über Leichen, wenn es darum geht, ihre (erotischen) Ziele durchzusetzen. Monteverdi enthält sich dabei eines Urteils, und gönnt den Bösewichtern nicht nur ein Happy End, sondern auch das zarteste Liebesduett der Operngeschichte.
Jan Lauwers entgeht der Versuchung, aus dem Stoff eine oberflächliche Politsatire zu machen, wie es öfter passiert. Er interessiert sich für die philosophische Gemengelage, für die Körperlichkeit der Barockepoche, für eine aus den Fugen tretende Welt, in der sich Eros und Thanatos eng ineinander verschlingen. Für den Bühnenboden hat er Hunderte nackte Leiber collagiert, wobei es unentschieden ist, ob das nun eine Orgie oder doch das Jüngste Gericht darstellt. Oder die Verdammten, auf denen die Herrschaften herumtrampeln. In der Mitte lässt er Solotänzer abwechseln, die sich den ganzen Abend über um ihre Achse drehen, während die allegorischen Figuren des „Glücks“, der „Tugend“und der „Liebe“auf Krücken gehen: Bilder der Überbeanspruchung und des Gebrechens einer Welt, der Ideale und höhere Ziele abhandengekommen sind.
Während der belgische Multiartist Lauwers die ausgelaugten Körper von auf sich zurückgeworfenen Menschen ins Zentrum rückt, fokussiert sich die Musik ebenso auf die Individuen: Es ist ein intimes Stimmentheater, auch deshalb weil der musikalische Leiter William
Christie sich an Monteverdis Original orientiert. Die „Poppea“ist in einer rudimentären Instrumentierung überliefert, die den Ehrgeiz vieler Bearbeiter gereizt hat. Christie beschränkt sich fast auf den „recitar cantando“, den deklamierenden Gesang, begleitet vom Basso continuo. Selten erlaubt sich Christie die Freiheit, Emotionen zusätzlich mit Instrumenten auszumalen, außerhalb der erhaltenen Orchester-Ritornelle gehört der Abend der Continuo-Gruppe. Die ist mit elf Personen (inklusive Christie am Cembalo) üppig besetzt, um für Abwechslung zu sorgen.
Fast nackt sind die Stimmen in diesem kollektiven „Liederabend“. Sonya Yonchevas luxurierender Sopran ist fast zu schön für diese Inszenierung, sie gibt eine sinnliche, aber wenig facettenreiche Intrigantin. Da erhielt Ausdruckssängerin Stéphanie D’Oustrac als verschmähte Ottavia für ihre tief- schürfende Klage mehr Applaus. Kate Lindsey ist ein schöner, böser Nero, die Duette mit Yoncheva gelingen intensiv. Dominique Visse zeigt als Arnalta alle Facetten des Hässlichen und Bizarren und brilliert mit einem honigsüß gesungenen Schlaflied. Sie und alle anderen blättern durchs Kompendium des Humanen. Ob getrieben oder gegängelt: Sie wirken wie Strandgut auf der Bühne. Die Düsternis des Originals nimmt an diesem Abend Gestalt an.
Zur Aufführung
„L’incoronazione di Poppea“von Claudio Monteverdi im Haus für Mozart.
Musikalische Leitung: William Christie.
Regie, Bühne, Choreografie: Jan Lauwers mit Sonya Yoncheva, Kate Lindsey, Stéphanie d’Oustrac, Carlo Vistoli, Renato Dolcini, Ana Quintans, Marcel Beekman, Dominique Visse und Tänzern von Needcompany, Bodhi Project und Sead.
Aufführungen: 15., 18., 20., 22. und 28. August. Karten: 0662 8045 500. www.salzburgerfestspiele.at
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