Kleine Zeitung Kaernten

Im Land von Land von da Vinci brechen die Brücken zusammen

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kennt das hoch gelegene Polcevera-Viadukt auf der Mautautoba­hn A 10 zwischen Flughafen und Hafen. Kaum zu glauben, dass dessen Fahrbahnen nun N brüsk in der Luft enden. eben den 39 Toten melden die Behörden 16 zum Teil schwer Verletzte – fünf Leichen konnten noch nicht identifizi­ert werden. Die Feuerwehr sucht mit Hunden, doch es gibt kaum Hoffnung auf Überlebend­e. Hubschraub­er bringen Verletzte und tote Körper fort. Am Nachmittag müssen die Bergungsar­beiten unterbroch­en werden, weitere Einstürze drohen. Mehr als 30 Autos und drei Laster sollen wie Spielzeug in die Tiefe gepurzelt sein und begruben Menschen unter sich. Die Trümmer stürzten auf Bahngleise und kaum besiedelte­s Industrieg­ebiet, sonst hätte es wohl noch mehr Opfer gegeben. Elf Wohnblocks in unmittelba­rer Nähe wurden evakuiert, 632 Menschen haben nun kein Obdach mehr.

„Nein“, sagt Oberstaats­anwalt Francesco Cozzi sehr bestimmt auf die Frage von Journalist­en in Genua, ob es sich bei dem Einsturz um ein zufälliges, fatales Schicksals­ereignis, eine „fatalità“handelt. Seine Behörde ermittelt gegen unbekannt. Denn es scheint eindeutig, dass menschlich­e Nachlässig­keit die 1967 eingeweiht­e und über 1100 Meter lange Brücke zum Einsturz gebracht hat. Ein Unwetter zog am Dienstag über Genua hinweg, an der Brücke fanden Bauarbeite­n statt, vielleicht riss einer der Stahlträge­r. Augenzeuge­n berichten von einem Blitz, der im Moment des Einsturzes zu sehen gewesen sei.

Ich will mich nicht erinnern.

Es schmerzt zu sehr.

Luigi

Lkw-Fahrer, der mit dem Leben davonkam

„Brücken stürzen nicht zufällig ein“, behauptet der aus Genua stammende Star-Architekt Renzo Piano. Er müsse an die Menschen in den Autos denken, an Urlauber, Fahrer, Arbeiter und ihre Augen. „Wenn man über eine Brücke fährt, sind die Augen noch offener, weil man sich zwischen oben und unten aufgehängt in der Luft befindet“, sagt Piano. Brücken seien Symbole. Man kann hinzufügen: Der Einsturz der Brücke ist ein Symbol für den nachlässig­en D Umgang Italiens mit sich selbst. enn wer das Land in diesen Jahren erlebt und beobachtet, wundert sich kaum noch über derartige Ereignisse. Genua und Ligurien waren in den vergangene­n Jahren Schauplatz verheerend­er Überschwem­mungen, die der Natur angelastet werden, aber durch Klimawande­l und Bauwut auch menschenge­macht sind. Ähnlich ist es bei den häufigen Erdbeben im Land. Man schlägt erst die Hände über dem Kopf zusammen, dann werden regelmäßig mangelnde Sicherheit­svorkehrun­gen und bauliche Versäumnis­se aufgeliste­t. Vor sechs Jahren steuerte Kapitän Francesco Schettino ein Kreuzfahrt­schiff gegen die Felsen der Insel Giglio, auch das war sinnbildli­ch.

Hauptstadt Rom versinkt seit Jahren im Müll, Neapel erstickt in brutaler Kriminalit­ät, seit einiger Zeit müssen Migranten als Sündenböck­e der in Wahrheit über sich selbst frustriert­en Italiener herhalten. In Rom gehen wöchentlic­h Busse in Flammen auf, es gibt eine Autobahnbr­ücke auf dem Weg zum Flughafen, deren Stabilität nicht gewährleis­tet sein soll, auf der sich aber täglich der Verkehr staut. Brücken in Kalabrien und Sizilien gelten als einsturzge­fährdet. Und doch ist dieses reiche Land eines der beliebtest­en Ferienziel­e überhaupt, besticht durch Schönheit, Leichtigke­it, Kunst, Genie und Anmut. Es ist das italienisc­he Paradox. Im Land Michelange­los und da Vincis brechen Brücken, Sinnbilder der Ingenieurs­kunst, in sich zusammen.

Viele von ihnen sind völlig überlastet. In den Vorjahren stürzten Viadukte bei Ancona, Agrigent und Fossano ein. Wenige Menschen starben, deshalb gab es kaum Schlagzeil­en. Die Situation in Genua ist besonders prekär. Natürlich ist die zwischen Wasser und Hügeln gebaute Stadt dem Verkehrsau­fkommen längst nicht mehr gewachsen. Das gilt nicht nur für die Hauptstadt Liguriens, sondern für Städte insgesamt. Italien ist mit seinen 60 Pkw pro 100 Einwohner ein Extrem. Seit Jahren wird über die Empfindlic­hkeit der mehr als 50 Jahre alten Brücke diskutiert, manche sahen die Tragödie kommen. Dabei bleibt die Frage, ob nur die Brücken stabiler werden müssen oder auch die Menschen ihr Konzept von Mobilität überdenken sollten. Die Anstrengun­gen der Straßenbau­behörde Anas genügen offensicht­lich nicht. Elf Milliarden Euro will Anas zwischen 2016 und 2020 in die Instandhal­tung investiere­n, daDie von 350 Millionen Euro in Brücken und Tunnels.

Nun beginnt die Jagd nach den Schuldigen. Die Verantwort­lichen der Autobahnge­sellschaft Autostrade d’Italia stehen ganz oben auf der öffentlich­en Abschussli­ste. Vizepremie­r Luigi Di Maio brachte Geldstrafe­n für die Autobahnbe­treiber-Gesellscha­ft in Höhe von 150 Millionen Euro und die Entlassung der Manager ins Spiel, bevor die Staatsanwa­ltschaft ihre Ermittlung­en auf-

Bisher wurde so viel Geld in die Reparature­n gesteckt, wie ein kompletter

Neubau gekostet hätte.

Antonio Brencich,

Professor der Universitä­t Genua

nahm. Verkehrsmi­nister Danilo Toninelli behauptete, mangelnde Instandhal­tung sei Unglücksur­sache. Der Staub unter der Brücke war noch nicht gesackt, da wartete der zackige und von Umfragen begünstigt­e Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechtsnati­onalen Lega in Manier eines Sheriffs auf. „Ich will Vor- und Nachnamen der Verantwort­lichen“, polterte er. Von großen Infrastruk­turplänen ist in Italien nun die Rede, von systematis­chen Untersuchu­ngen an Brücken, Tunnels und Viadukten. Ministerpr­äsident Giuseppe Conte schrieb auf Facebook: „Was in Genua passiert ist, ist nicht nur für die Stadt, sondern auch für Ligurien und ganz Italien eine tiefe Wunde.“Conte kündigte scharfe Kontrollen der Infrastruk­tur an. „Wir können uns keine weiteren Tragödien wie diese erlauben“, schrieb er. Es klang eher nach einem Wunsch als nach echter Überzeugun­g.

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AP Die fieberhaft­e Suche nach Vermissten läuft weiter – unter extremen Bedingunge­n
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AFP, AP Luigi konnte seinen Lkw noch stoppen (links), rechts im Bild: der Vize-Regierungs­chef Luigi Di Maio
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AFP, AP Wie Bauklötze türmen sich die Trümmer der Morandi-Brücke auf der Autobahn A10, rechts im Bild: ein Lkw, der in die Tiefe stürzte
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AFP Einsatzkrä­fte versuchen Genuesen zu beruhigen
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