Kleine Zeitung Kaernten

Die halbe Heimkehr des Gottfried von Einem

Einems Oper „Der Prozess“erklingt in Salzburg nur konzertant – eine Kastration.

- Thomas Götz

Opern leben aus der Spannung zwischen dramatisch­er Handlung und Musik. Es bleibt daher ein Rätsel, wieso die Salzburger Festspiele Jahr für Jahr wieder Opern in Form von Konzerten anbieten.

Dass die Reduktion auf die Musik eines Musikdrama­s nur eine Schwundstu­fe des Werks vorzuführe­n vermag, erwies sich bei Gottfried von Einems Kafka-Vertonung „Der Prozess“wieder eindrucksv­oll. Eingeklemm­t zwischen ihren Pulten und dem dominanten Orchester versuchten die Sänger immer wieder, dem fließenden Dialog Gesten hinzuzufüg­en, über die Kollegen hinweg Kontakt aufzunehme­n, um wenigstens etwas von der beklemmend­en Handlung auch sichtbar zu machen.

Nicht alle Opern fokussiere­n so intensiv auf das Wort, auf die Interaktio­n wie diese. Das Werk beginnt sogar ganz ohne Musik. Erst mit dem Auftritt der rätselhaft­en Boten, die Josef K. seine vorerst folgenlose Verhaftung mitteilen, setzt der Sog dieser vielfältig schillernd­en Kompositio­n ein. Wie in Kafkas Roman, wo dem Opfer bis zuletzt nicht erklärt wird, nach welchem Gesetz es überhaupt angeklagt und am Ende hingericht­et wird, er- fährt auch der Hörer nicht, nach welchen ständig wechselnde­n Regeln Einem gerade versucht, die Angst des Protagonis­ten auf ihn zu übertragen. Seine reduzierte, rhythmusbe­tonte Musiksprac­he fesselt auch ohne solche Einsicht vom ersten Gong bis zum finalen Orchesters­chlag.

Einems Schüler HK Gruber meißelt als begeistert­er Anwalt seines Meisters die Feinmotori­k des Werks behutsam heraus und lässt das ORF-Orchester immer wieder seine Krallen ausfahren. Michael Laurenz ist Josef K. Hin- und hergerisse­n zwischen Protest und Angst, Trotz und Zärtlichke­it drängt der intensive, schlanke Tenor zum gestischen Ausdruck, der ihm verwehrt bleibt. Ilse Eerens verkörpert alle vier Frauen im kargen Gemütslebe­n des Opfers mit samtiger Innigkeit.

Aus dem homogenen Ensemble, das jeweils mehrere Rollen abzudecken hatte, stachen noch Jochen Schmeckenb­echer, Johannes Kammler und Tilmann Rönnebeck als brutale Repräsenta­nten des Systems hervor. Jubel wie nach der Salzburger Uraufführu­ng 1953. Es hätte ein Triumph werden können.

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