„Oder wir importieren Instabilität“
INTERVIEW. EU-Kommissar Johannes Hahn und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wollen Österreichs Konfliktkultur in die Westbalkanstaaten exportieren.
Außenministerin Karin Kneissl hat vor einigen Tagen argumentiert, die EUErweiterung um die Westbalkanstaaten aus geopolitischen Überlegungen heraus schneller voranzutreiben, weil der Einfluss Chinas und der Türkei dort wachse. Lässt sich die EU hier nicht zu sehr von der Angst treiben?
JOHANNES HAHN: Angst ist kein guter Berater. Es ist klar, dass diese Länder eine europäische Perspektive haben, das ist ein enormer Hebel. Aber was zählt, ist die Qualität in der Vorbereitung, nicht die Geschwindigkeit. Das heißt Rechtsstaatsentwicklung, wirtschaftliche Entwicklung. Wir werden die Akzeptanz unserer Bürger nur finden, wenn sie das Gefühl haben, ein neues Mitglied ist eine Bereicherung, nicht eine Belastung.
SOBOTKA: Geopolitisch gab es in Europa Jahrhunderte hindurch zwei Konfliktfelder: Deutschland und Frankreich, was mit Adenauer und de Gaulle langfristig beseitigt werden konnte. Und die Balkanregion, die besonders volatil ist. Den europäischen Gedanken am Balkan zu festigen, wird schon Grundvoraussetzung für ein stabiles Europa sein. Wir wollen deshalb in parlamentarischen Fragen ein Partner für Region sein, um einen Beitrag zur Stärkung der jungen Demokratien zu leisten.
Besteht nicht die Gefahr, dass man solche historischen Konflikte in die EU importiert?
SOBOTKA: Unterschiedliche Interessenslagen zwischen Staaten haben wir jetzt auch schon; die Frage ist doch, wie geht man damit um? Treibt ein Konflikt Staaten in die Isolation und aufgrund einer fehlenden Gesprächsbasis in militärische Konfrontation oder kann man Themen und Standpunkte benennen und parlamentarisch lösen? Natürlich wird es historische Konfliktlinien noch lange geben – die gab es auch in der österreichischen Geschichte. Nur: In Europa werden Konflikte demokratisch ausgetragen.
Natürlich gibt es immer Konflikte. Aber das sind Nationen, die teilweise noch vor wenigen Jahren miteinander Krieg geführt haben.
HAHN: Gerade in der Union lassen sich viele dieser Probleme besser überwinden als außerhalb. Ein Beispiel ist die irische Grenze, wo das Friedensabkommen deswegen so gut funktioniert hat. Viele der Probleme um diese Grenze haben sich durch die Einbindung in ein grö-
ßeres Ganzes, in die EU mit ihren Werten und Regeln, einfach aufgelöst. In der neuen Balkanstrategie haben wir festgelegt, dass wir nur bereit sind, ein neues Mitglied aufzunehmen, wenn es all seine bilateralen Konflikte mit Nachbarstaaten beigelegt hat. Das hat schon Dynamik ausgelöst, wie man an der Klärung im Namensstreit zwischen der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien („the former Yugoslav Republic of Macedonia“, FYROM) und Griechenland sehen kann. Entweder wir exportieren Stabilität oder wir importieren Instabilität.
Wobei die Lösung zwischen Griechenland und Mazedonien noch nicht endgültig geklärt ist.
HAHN: Wir haben Ende September das Referendum in FYROM. Das unterstützen wir auch und wir hoffen, dass das positiv ausdiese geht. Danach müssen die Griechen entscheiden.
Und was, wenn sie Nein sagen? Die Menschen in FYROM merken, welche positiven Folgen diese Einigung hat – die Beitrittsverhandlungen mit der Nato, den Start der Vorbereitungen für die EU-Verhandlungen, Investitionen etc. Ich glaube, die Griechen werden die Vorteile auch sehen. Es kann nicht in ihrem Interesse sein, geographisch isoliert zu sein.
Dass die Griechen „die Vorteile sehen“, hat man auch vor der Abstimmung über die Sparmaßnahmen Eurokrise 2015 gehofft – und sie ist mit Nein ausgegangen.
HAHN: Aber im Endeffekt wurden die Dinge durchgezogen und dieser Tage erleben wir die Beendigung des Rettungsprogramms.
SOBOTKA: Es wird auch ein gerüttelt Maß an europäischer Geschicklichkeit bedürfen, diese gemeinsame Interessenlage durchzusetzen. Ich möchte daher eine Kooperation auf parlamentarischer Ebene etablieren, um die Möglichkeit zu geben, unseren Parlamentarismus kennenzulernen.
Ist der österreichische Parlamentarismus wirklich so ein BestPractice-Beispiel, dass man ihn exportieren möchte – wenn man etwa an den hohen Anteil der Gesetze denkt, die eigentlich von der Regierung kommen?
SOBOTKA: Ich denke, unser Parlament ist in vielerlei Hinsicht ein gutes Beispiel, auch wenn immer Luft nach oben ist. Wird im Nationalrat lange diskutiert, heißt es, die Politik ist zögerlich. Werden Vorlagen zügig beschlossen, kommt der Vorwurf
des Durchwinkens. Regierung und Opposition werden das vom jeweiligen Standpunkt immer unterschiedlich sehen.
HAHN: Es gibt zwei Punkte, bei denen der österreichische Parlamentarismus als Beispiel dienen kann: Es kommt in den Balkanstaaten vor, dass sie über 50 Prozent der Gesetze im Fasttrack-Verfahren beschließen, ohne Einbindung der Zivilgesellschaft, ohne Begutachtung. Es gibt auch in Österreich immer wieder Diskussionen darüber, aber grundsätzlich haben wir ein anderes Verständnis, was Einbindung angeht. Außerdem gibt es am Balkan ein Schwarz-Weiß-Denken: Entweder du bist der Gewinner oder du bist Verlierer. Aber Demokratie besteht aus Kompromiss.
In der österreichischen Bevölkerung gibt es in Umfragen eine kla-
re Mehrheit gegen den Beitritt jedes dieser sechs Staaten.
HAHN: Wir müssen unseren Bürgern erklären, warum der Beitritt sinnvoll ist. Das geht am besten, wenn diese Länder Fortschritte zeigen. Wir müssen aber auch an internen Schrauben drehen: Die Art, wie wir in der EU derzeit zu Entscheidungen kommen, behindert uns in unserer Arbeit als Block, zu sein, was Präsident Juncker unlängst „weltpolitikfähig“nannte. Wenn ich immer Einstimmigkeit brauche, bin ich mehr in der Reaktion als in der Aktion. Aber natürlich muss die Einstimmigkeit bei der Letztentscheidung über den Beitritt eines neuen Mitglieds erhalten bleiben.
Die EU hat die Bürger zum Thema Sommerzeit befragt. Warum nicht zu entscheidenden Fragen, wie etwa: Wollt ihr eine Erweiterung zum Westbalkan?
HAHN: Politik hat auch die Aufgabe, zu gestalten und voranzugehen. Das ist die Kunst der Politik, dass man die eigenen Bürger nicht aus den Augen verliert und bei den Entscheidungen miteinbezieht, was ihre Einschätzung ist.
SOBOTKA: Die komplexen Zusammenhänge im Hintergrund verantwortungsvoll aufzubereiten und greifbar zu machen, bedarf massiver Aufklärungsarbeit – egal, ob Gegner oder Befürworter. Als Nationalratspräsident wird es Sie zudem wenig überraschen, dass ich ein Verfechter der repräsentativen Demokratie bin. Die Schweiz lebt das anders, hat aber Jahrhunderte an Erfahrung mit Volksentscheiden vorzuweisen. Solange die Beteiligung bei Wahlen um ein Vielfaches höher ist als bei Volksabstimmungen, bin ich immer skeptisch, dass man über Volksentscheide zu Ergebnissen kommt, die die Bürger wirklich wünschen.