Die alte und die neue USA
Die Trauerfeier für den Kriegshelden John McCain geriet zu einer eindrucksvollen Demonstration gegen US-Präsident Donald Trump – echter Widerstand war es nicht.
Nach einer halben Stunde hielt es Donald Trump vor dem Fernsehen nicht mehr aus. Meghan McCain hatte bei der Trauerfeier für ihren Vater in der Nationalen Kathedrale in Washington unter Beifall der mehr als 3000 geladenen Gäste gerade ausgerufen: „Das Amerika John McCains hat es nicht nötig, wieder groß gemacht zu werden, weil Amerika immer groß war.“Da setzte der amtierende US-Präsident seine weiße „Make America Great Again“-Kappe auf und ließ die Fahrzeugkolonne rufen.
Den ganzen Vormittag hatte Trump versucht, von dem Ereignis abzulenken, bei dem seine Anwesenheit unerwünscht war. Wild wetterte er via Twitter gegen seine politischen Gegner, die Medien, die RusslandUntersuchung und Kanada, das sich von ihm bei den Freihandelsgesprächen nicht erpressen ließ. Doch es half nichts: Am Vormittag gab es auf allen maßgeblichen TV-Kanälen der USA nur ein Thema: den Abschied des hoch angesehenen Senators und Kriegshelden John McCain. Selbst Trumps Haussender Fox übertrug die zweieinhalbstündige Zeremonie in voller Länge. Das war zu viel: Er stieg in die Limousine und fuhr aus dem Weißen Haus unweit der Kathedrale zu seinem Golfplatz in Virginia. Während die Nation kollektiv um ihren letzten großen Helden trauerte, schlug ihr oberster Repräsentant kleine Bälle über den Rasen.
Der Kontrast hätte schärfer nicht sein können: Drei ehemalige Präsidenten waren ebenso anwesend wie die gesamte Spitze der etablierten US-Politik, des Militärs und der Gesellschaft. Während Trump auf Twitter polterte, wurde dort parteiübergreifend für Anstand und Kompromiss geworben. Obwohl Trumps Name kein einziges Mal erwähnt wurde, schwang er in allen Nachrufen mit. Jeder Redner distanzierte sich mit kaum versteckten Botschaften. Der demokratische Ex-Präsident Barack Obama verschwieg weder die Differenzen, die er mit McCain hatte, noch dessen Temperamentsausbrüche. Doch der Republikaner, der mit seinem „Nein“Trumps Gesundheitsreform zu Fall gebracht hatte, sei immer für Recht und Pressefreiheit eintreten: „Wir hatten nie Zweifel, dass wir in derselben Mannschaft spielen.“Obama lobte, dass McCain für Überzeugungen und Werte gestanden sei: „Oft kann unsere Politik klein, engstirnig, niederträchtig wirken, sie kann mit Schwulst und Beleidigungen, mit verrückten Debatten und gespielter Empörung auftreten. Diese Politik gibt vor, mutig zu sein, doch tatsächlich ist sie aus Angst geboren. John hat uns aufgefordert, D größer als das zu sein.“ie Trauerfeier war ein Hochamt auf die idealisierten Werte der Demokratie, des nationalen Zusammenhalts und des Patriotismus. So eindrucksvoll die überparteiliche Demonstration für das bessere Amerika war – das „größte Treffen des Widerstands“gegen Trump hat Washington nicht erlebt: Zu viele Republikaner, die in der Kathedrale ihre Tränen verdrückten, sind längst zu Komplizen des Präsidenten geworden.