Kleine Zeitung Kaernten

„Die Kultur der Angst macht Menschen fertig“

Christina Maslach, BurnoutPio­nierin, sagt: Nicht der betroffene Mensch muss „repariert“werden, sondern das Arbeitsumf­eld, das krank macht.

- Von Sonja Krause

Frau Maslach, Sie zählen zu den wichtigste­n Forscherin­nen auf dem Gebiet des Burnout. Können Sie bei Menschen eine Burnout-Persönlich­keit erkennen?

CHRISTINA MASLACH: Nein, es gibt keine Burnout-Persönlich­keit. Vielmehr ist Burnout eine Reaktion auf die Stressfakt­oren im Arbeitsumf­eld. Auslöser ist diese nicht enden wollende Folge an Stressausl­ösern – das sind oft keine großen Krisen, sondern alltäglich­e Probleme, die einen Menschen zermürben.

Burnout wird oft mit dem ausgebrann­ten Zündholz dargestell­t – mit der totalen Erschöpfun­g. Steckt mehr dahinter?

In seinen schweren Formen dominiert die Erschöpfun­g: Der Betroffene kann nicht mehr. Aber Burnout ist nicht nur Erschöpfun­g – dazu kommt eine zynische, feindselig­e Einstellun­g zur Arbeit. Betroffene können die Menschen, mit denen sie arbeiten, nicht mehr ertragen, sie halten es nicht aus, auch nur einen weiteren Kunden, Schüler oder Patienten zu sehen. Diese Reaktion kann die Qualität der Arbeit stark beeinfluss­en. Dazu kommen negative Gedanken einem selbst gegenüber – bin ich nicht gut genug in dem, was ich tue? Diese drei Dinge machen ein Burnout aus – ein spezielles Persönlich­keitsmerkm­al haben wir nicht gefunden. Es geht vielmehr darum: Wie passen mein Arbeitsumf­eld und ich zusammen?

Dennoch konzentrie­ren sich die meisten Maßnahmen auf die Einzelpers­on – ist das ein Problem?

Ich finde es sehr problemati­sch, zu sagen: Was machen wir mit dir, dem Betroffene­n? Was ist mit dir falsch und wie kriegen wir dich wieder hin? Die Forschungs­lage sagt uns aber: Viel wichtiger sind das Arbeitsumf­eld und die Probleme, die es dort gibt. Wenn man diesen Umständen keine Aufmerksam­keit schenkt, verpasst man die Wurzel des Problems. Wir sagen den Leuten: Schlaft acht Stunden, esst gesund, meditiert, geht ins Fitnessstu­dio, gönnt euch Pausen. Das ist alles wich- tig, aber: Damit behandeln wir nur die Symptome, es ist kein Heilmittel für das Problem! Und all diese Ratschläge impliziere­n auch: Das Problem bist du, du bist nicht stark genug. In Interviews, die ich führe, sagen mir Leute: Ich muss bis Mitternach­t arbeiten, dann soll ich noch ins Fitnessstu­dio gehen?

Österreich­s Regierung hat die Höchstarbe­itszeit von zwölf Stunden pro Tag eingeführt – was sagen Sie dazu?

Bei zwei Stunden mehr hat man nicht einfach mehr Zeit für die Arbeit, sondern es wird auch mehr verlangt. Der Mensch sollte sieben bis acht Stunden pro Nacht schlafen. Werden zwei Stunden weggenomme­n, was bleibt dann übrig? Vier Stunden für den Arbeitsweg, Einkäufe, Familie, Freunde und Hobbys. Nur vier Stunden – das ist ungesund. Es beraubt dich in gewissem Sinne deiner Lebenszeit außerhalb der Arbeit. Jener Zeit, die dich gesund und widerstand­sfähig macht.

Es klingt, als müssten die Strukturen geändert werden. Wie sollte das aussehen?

Firmen haben Angst, dass das ganze Unternehme­n umgebaut werden muss – dabei sind es die

kleinen Dinge, die bei den Menschen ankommen. Wie behandeln wir uns? Welche nervigen Umstände machen den Arbeitstag beschwerli­ch, kosten Energie, frustriere­n? Das sind die Kieselstei­ne im Schuh, die jeden Schritt beschwerli­ch machen. Wir haben sechs Bereiche gefunden, die für das BurnoutRis­iko entscheide­nd sind.

Welche sind das?

Das ist die zu große Arbeitsbel­astung, die man nicht bewältigen kann. Aber es gibt noch weitere (siehe Infobox), eine davon ist Belohnung, aber dabei geht es nicht um mehr Geld, sondern um Anerkennun­g, positives Feedback zur eigenen Arbeit. Oder Gemeinscha­ft, das sind die Menschen, mit denen wir arbeiten, und die Unterstütz­ung untereinan­der. Hier höre ich immer öfter von einer vergiftete­n Atmosphäre: Das ständige Gegeneinan­der unter Kollegen macht die Menschen fertig. Dazu kommen befristete Verträge, fehlendes Vertrauen, so kommt es zu einer Kultur der Angst, in der sich keiner traut, Nein zu sagen oder Hilfe zu suchen. Wenn das richtig schlimm wird, kann das zu Alkohol- oder Drogenmiss­brauch bis zum Suizid führen.

Doch wenn hierzuland­e ein Mensch ein Burnout hat, wird er krankgesch­rieben und soll dann in denselben Job zurückkehr­en. Ist das überhaupt möglich?

Das ist eine gute Frage und ich kenne die Antwort nicht, da uns dazu die Langzeitfo­rschung fehlt. Aber ich kenne das Beispiel aus Schweden, wo mir Menschen, die aufgrund von Burnout ein Jahr krankgesch­rieben wurden, gesagt haben: Ich will nicht zurück in diesen Job. Die Frage ist, ob es nicht eine andere Herangehen­sweise an das Problem Burnout braucht – wir müssen den Arbeitspla­tz als Teil des Problems erkennen.

Ist Burnout überhaupt eine Krankheit – oder eine Reaktion auf ein krank machendes Umfeld?

Burnout ist keine Krankheit, aber die Gesellscha­ft versucht, es zu einer Krankheit zu machen. Wir brauchen die Diagnose, um sagen zu können: Es ist ein Problem des Individuum­s. Das macht mir wirklich Sorgen, denn es war nie als Krankheit definiert. Manche sagen, es ist doch nur eine Form der Depression – nein, Burnout kann zu einer Depression führen. Das Krankheits­konstrukt bringt uns nicht weiter – es führt nur zum Eindruck, dass wir den Menschen reparieren müssen und nicht das Arbeitsumf­eld.

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 ??  ?? Maslach: „Ein 12-StundenTag ist nicht gesund, er beraubt dich deiner Lebenszeit außerhalb der Arbeit“
Maslach: „Ein 12-StundenTag ist nicht gesund, er beraubt dich deiner Lebenszeit außerhalb der Arbeit“

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