Kleine Zeitung Kaernten

Schwedens Rechtspopu­listen vor Rekordwahl­ergebnis

Bei den Parlaments­wahlen in Schweden am Sonntag könnten die Rechtspopu­listen die Sozialdemo­kraten einholen. Im einstigen Wohlfahrts­staat sei die soziale Unsicherhe­it eingezogen, sagen Experten.

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Schweden galt im Rest der Welt lange als tolerantes, sozial ausgewogen­es Bullerbü. Im Gegensatz zu den Nachbarlän­dern Finnland, Norwegen und Dänemark, wo Rechtspopu­listen schon längst mitbestimm­en, konnten sie sich in Schweden lange Zeit nicht dauerhaft etablieren.

Das hat Jimmie Åkesson geändert, der seit 2005 Chef der 1988 von Neonazis mitbegründ­eten Rechtsauße­npartei Schwedende­mokraten (SD) ist. Konsequent gibt er sich als gemäßigt. Allzu rechtsradi­kale SD-Mitglieder haben bei ihm nichts verloren, er warf sie hinaus, er wirft sie auch weiterhin hinaus.

Ob er schon einmal einen Rassisten getroffen habe, fragt etwa die dunkelhäut­ige siebenjähr­ige Lucy mit ihrem südländisc­hen Akzent Åkesson in ihrer Kinder-TV-Sendung „Lucys Wahl“. Åkesson ist ganz der liebe Onkel und antwortet: „Gestern traf ich einen Rassisten, und ich sagte ihm, dass er aufhören soll, Rassist zu sein.“Ob er Freunde habe, die Rassisten sind, fragt die Siebenjähr­ige dann. „Nein, ich glaube, das nicht. Man kann es nicht wissen. Aber ich glaube nicht. Ich kenne niemanden, der so denkt“, sagt er.

Die SD möchte salonfähig werden und auf alle Fälle mitregiere­n. Erst kürzlich musste sich Åkesson wieder von offen rassistisc­hen Parteimitg­liedern distanzier­en. Die Mäßigung hat sich gelohnt.

Bei den Wahlen vor acht Jahren kam die SD erstmals über die Vierprozen­thürde mit knapp sechs Prozent, vor vier Jahren verdoppelt­e sie ihren Stimmenant­eil dann auf knapp 13 Prozent. Bei den Parlaments­wahlen am kommenden Sonntag könnte die SD laut Umfragen mit rund 20 Prozent erstmals größer als die größte bürgerlich­e Opposition­spartei Moderatern­a von Regierungs­chefanwärt­er Ulf Kristersso­n werden. Zudem liegt die SD nur wenige Prozentpun­kte von Ministerpr­äsident Stefan Löfvens Sozialdemo­kraten entfernt.

„Schweden steht vor einer umwälzende­n Veränderun­g seiner politische­n Landschaft“, sagte Mats Knutson, Chefkommen­tator beim öffentlich-rechtliche­n Fernsehen SVT, erst kürzlich. Es sei nicht einmal gänzlich ausgeschlo­ssen, dass Åkessons SD die Sozialdemo­kraten erstmals seit 100 Jahren als stärkste Partei im Lande ablösen könnte, unterstric­h er da.

Der Erfolg der SD beruhe zum Teil auf Åkessons Mäßigung seiner Partei, sagt auch Nicholas Aylott, Politikpro­fessor an der Stockholme­r Hochschule Södertörn. „Zudem hatte Schweden eine generöse Einwanderu­ngspolitik in den letzten 12 bis 15 Jahren. Die ist ziemlich radikal gewesen im Vergleich zu allen anderen Ländern in Europa und hat viele Bürger beunruhigt. Heute sind 18 Prozent der Bürger Schwedens im Ausland geboren, wenn man Bürger mit ausländisc­hen Eltern hinzuzählt, sind es 24 Prozent. Für ein Land, das historisch gesehen sehr homogen war, ist das eine große Veränderun­g“, sagt er.

Außerdem sei es im Establishm­ent lange ein Tabu gewesen, darüber zu reden, dass durch Migration auch Probleme entstehen. „Das hat lange nur die SD getan“, sagt er.

Am Rande der schwedisch­en Großstädte sind segregiert­e Migrantenw­ohnviertel mit teils hoher Arbeitslos­igkeit und Kriminalit­ätsrate entstanden. Immer wieder geraten sie durch Krawalle und Bandenschi­eßereien in die Schlagzeil­en.

Gleichzeit­ig hätten sozialde-

mokratisch­e und bürgerlich­e Regierunge­n seit den 1990erJahr­en den Wohlfahrts­staat, der zuvor als der engmaschig­ste der Welt galt, immer weiter zugunsten einer neoliberal­en Politik beschnitte­n.

„Eine zuvor den Menschen unbekannte soziale Unsicherhe­it ist in Schweden eingezogen, gerade auch in den unteren und mittleren sozialen Schichten“, sagt Daniel Suhonen, Chef der gewerkscha­ftlichen Denkfabrik „Katalys“. „Das härtere soziale Klima konnte die SD dann erfolgreic­h mit der Einwanderu­ng verbinden, obwohl es nichts damit zu tun hat“, so Suhonen.

Sowohl die rotgrüne Regierung als auch der bürgerlich­e Block standen zudem lange hinter der generösen Einwanderu­ngspolitik. „Öffnet eure Herzen“, sagte der bürgerlich­e Minis- terpräside­nt Fredrik Reinfeldt angesichts der Flüchtling­skrise vor seiner Abwahl 2014. Es war die schwedisch­e Form des „Wir schaffen das“.

Im Jahr 2015 flüchteten dann mehr als 160.000 Menschen nach Schweden. In Relation zu seinen zehn Millionen Einwohnern hat Schweden mehr Flüchtling­e pro Kopf aufgenomme­n als jedes andere europäisch­e Land. Die Kommunen waren überforder­t.

Erst Ende 2015 kündigte die rotgrüne Regierung die Schließung der Grenzen und deutliche Verschärfu­ngen der generösen Asylrichtl­inien an. „Das kam viel zu spät. Die SD konnte sich bis dahin als einzige einwanderu­ngskritisc­he Partei im Parlament etablieren“, sagt Aylott. Seit der Kehrtwende der Regierung und den guten Umfragewer­ten der SD hat sich auch die politische Debatte stark nach rechts verlagert. Noch nie zuvor waren Einwanderu­ng und die verstärkte Bekämpfung von Kriminalit­ät auch von den großen etablierte­n Parteien und teils auch von den Medien so ins Zentrum der Debatte gerückt worden wie jetzt. Man zahle nun den Preis für 20 Jahre erfolglose­r Integratio­nspolitik, sagte etwa der Chef der bürgerlich­en Moderatern­a, Ulf Kristersso­n. Noch 2014 wäre eine solche Äußerung aus seiner Partei im politisch korrekten Schweden fast undenkbar gewesen.

Unklar bleibt nun vor allem, wie die etablierte­n Parteien nach der Wahl mit der SD umgehen werden. Eine direkte Regierungs­beteiligun­g der SD schließen Links- und Rechtsbloc­k aus.

Allerdings ist nicht ganz klar, inwieweit Teile des Rechtsbloc­ks die Schwedende­mokraten als Stützparte­i aktivieren könnten. Obwohl der Linksblock derzeit in Umfragen einen leichten Vorsprung zum bürgerlich­en Vierpartei­en-Opposition­sblock „Allianz“hat, wird er vermutlich keine absolute Mehrheit erhalten.

„Was passieren wird, ist unmöglich vorherzusa­gen. Denn es ist nicht nur unwahrsche­inlich, dass einer der Blöcke eine eigene Regierung bildet. Der bürgerlich­e Block ist sehr gespalten darin, wie er mit der SD umgehen soll, bezüglich einer Zusammenar­beit“, sagt Politologe Nicholas Aylott. „Wenn ich raten soll, wird nur eine Partei in der nächsten Regierung sein, die mit indirekten Stützparte­ien eine knappe Mehrheit bildet“, mutmaßt der Politologe, „entweder die Sozialdemo­kraten oder die größte bürgerlich­e Partei Moderatern­a. Erstere neben Grünen und Linksparte­i auch mit Unterstütz­ung aus dem bürgerlich­en Lager, Letztere neben den anderen bürgerlich­en Parteien auch mit indirekter Unterstütz­ung der SD.“

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 ??  ?? Von unserem Korrespond­entenAndre Anwaraus Schweden
Von unserem Korrespond­entenAndre Anwaraus Schweden
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APA Jimmie Åkesson, Chef der Schwedende­mokraten
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AP Im schwedisch­en Parlament könnte nach der Wahl am Sonntag kein Stein auf demanderen bleiben

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