Digitalisierung: Wischen statt Wissen?
Tablet statt Tafel, Klicks statt Kreide: Der digitale Wandel verändert auch den Schulalltag. Zum Guten? Von Chancen fürs Lernen und Risiken für die Bildung – eine Gegenüberstellung.
Alle Schülerinnen und Schüler sollen in der fünften Schulstufe und in der neunten Schulstufe sowie auch die LehrerInnen mit adäquaten digitalen Endgeräten (Tablets, Laptops etc.) ausgestattet werden.“So steht es im „Arbeitsprogramm der Bundesregierung“. Nein, nicht in jenem der aktuellen. Die letzte SPÖÖVP-Koalition hat das im Jänner 2017 verkündet.
Die jetzt von der Nachfolgeregierung durch die politische Arena geprügelten Ankündigungen für einen „digitalen Masterplan“sind also kein neues Betriebssystem, sondern maximal ein Update.
Was ebenfalls nicht neu ist, ist die Debatte darüber, wie viel Digitalisierung der Schulalltag tatsächlich braucht. Ob der Computer im Unterricht die Schüler schlauer oder dümmer macht? Es erscheint paradox: Auf der einen Seite wird das Fitmachen des Nachwuchses für einen durchdigitalisierten Alltag gefordert und mittels in Aussicht gestellter TabletsGrundversorgung gefördert. Auf der anderen Seite wird die tatsächliche Präsenz der smarten Lebensbegleiter aber weniger als Segen denn als Fluch wahrgenommen – und im Schulalltag verboten. Liessmann. Tablets könnten nicht nur die Kosten für gedruckte Schulbücher und das Gewicht der Schultaschen drastisch senken, sondern die Möglichkeiten zur individuellen Förderung der Schüler dramatisch erhöhen, halten Anhänger der digitalen Bildung entgegen.
Meist strandet die hitzig geführte Debatte an der Grundsatzfrage, ob Technik der Pädagogik folgen soll – oder umgekehrt; also, ob alles, was technisch möglich, auch pädagogisch sinnvoll ist.
Warum noch Englischvokabel lernen, wenn es Simultanübersetzungs-Apps gibt? Wozu noch Geschichte, Geografie oder Biologie lernen, wenn es Suchmaschinen, Navigationsgeräte und Sprachassistenten wie Alexa gibt, man also alles mit einer Wischbewegung, einem Klick oder einer Frage an einen Kunststoffwürfel beantBeide
worten oder lösen kann? Weil, kontert Liessmann, der Grundirrtum darin bestehe, dass man in der digitalen Aufrüstungseuphorie der Schulen vergessen habe, „dass Lernen im Wesentlichen ein sozialer Prozess ist“. Dass es den persönlichen Kontakt, die Lernumgebung und die Animation durch eine versierte Lehrperson brauche. Radikalere Skeptiker greifen bei ihrer Warnung, dass Menschen durch ein Zuviel an Technik zu (Konsum-)Maschinen würden, auf Albert Einstein zurück: „Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem die Technologie unsere Menschlichkeit übertrifft. Auf der Welt wird es nur noch eine Generation aus Idioten geben.“
Deshalb dürfe man in einer zunehmend komplexer werdenden Welt Wissen und selbstständiges Denken nicht an rasant Daten anhäufende handliche Minicomputer auslagern. Auch warnen Traditiona- listen davor, das Lernen in den Tarnmantel der elektronischen Unterhaltung zu hüllen – sprich es nicht mehr spürbar zu machen. Vielmehr brauche es das Bewusstsein für Lernen als Mix aus Herausforderung und Anstrengung, Scheitern und Verstehen. Es brauche die Fähigkeit, neutrale Information im Netz von plumper Meinungsmache unterscheiden zu können. Schwer genug, weil dafür eine fundierte Medienbildung vonnöten ist. Sie fehlt. Was lernen die Kinder im Unterricht über Datenstaubsauger wie WhatsApp, Youtube & Co., über Algorithmen und Blockchain? Wenig. Wie sieht es mit der entsprechenden Ausstattung der Schulen aus? Trist. Nur die Hälfte der NMS, AHS und BMHS verfügen über WLAN.
So konkret die Politik in ihren entsprechenden Verbesserungsankündigungen wirken will, so vage bleibt sie im Konkreten. Wie sieht es mit der Finanzierung der Digitaloffensive aus? Wie mit der Adaptierung der Lehrpläne? Wie mit der Weiterbildung der Lehrer, die noch in einem analog geprägten Alltag groß und ausgebildet wurden? Welche Lernprogramme, Sicherheitssoftware und Hardware braucht es? Darüber schweigen die Regierungsprogramme mit voller Lautstärke.