Kleine Zeitung Kaernten

„Die Meerjungfr­au steckt in jeder Frau“

INTERVIEW. Eva-Maria Höckmayr will das Geheimnis von Dvoˇráks „Rusalka“ergründen. Die Jungregiss­eurin inszeniert am Stadttheat­er die Eröffnungs­premiere.

- Von Uschi Loigge

Sie wollten zunächst Psychologi­e, Innenarchi­tektur oder Literaturw­issenschaf­ten studieren, geworden ist es dann das Regiefach. Wie das?

EVA-MARIA HÖCKMAYR: Der Schritt zur Regie war ein langer Weg. Ich habe natürlich überlegt, in welchem Beruf viele meiner Interessen zusammenko­mmen. Dass ich an der Theateraka­demie München genommen wurde, war ein Glück, weil dort Regie für Sprech- und Musiktheat­er gemacht wird. Oper ist für mich viel interessan­ter als Sprechthea­ter. Mit der Musik kann ich so viele Ebenen ansprechen, auch weil die Zeit sehr bestimmt ist. Man weiß, die Oper wird zwei Stunden 40, maximal zwei Stunden 44 dauern. Auf dieser Basis, die scheinbar unfreier wirkt, habe ich viele Freiheiten, weil ich sehr viel planen kann.

Und Psychologi­e, Innenarchi­tektur und Literatur finden Sie in der Oper konzentrie­rt vor? Doch, ja. Zum einen denke ich in Räumen, das besprechen wir auch im Team. Dann hat jede Figur, jeder Charakter eine eigene Psychologi­e, da kann man viel erzählen und die Geschichte­n schließlic­h sind Literatur.

Die „Rusalka“bietet ein weites Feld. Verraten Sie, wie Sie mit der Figur umgehen?

Wir müssen schon ein Geheimnis bewahren. Es gibt ja viele Versionen des „Rusalka“-Mythos, Andersen, de la Motte, die Undinen-Stoffe, mit ganz unterschie­dlichen Gewichtung­en. Was mir aber sehr wichtig ist, ist Rusalka als eine Frau zu zeigen, mit der wir alle im Zuschauerr­aum, über verschiede­ne Altersstuf­en und Erfah- rungshoriz­onte hinweg, mitfühlen können. Die Meerjungfr­au steckt in jeder Frau von uns, auch heute.

Das Stadttheat­er weist darauf hin, dass Dvoˇrák seine Oper im selben Jahr komponiert hat, in dem Sigmund Freuds Traumdeutu­ng erschienen ist. Sehen Sie diese Verbindung auch?

Auf jeden Fall. Es hat für mich auch mit dem Begriff Märchen zu tun. Wie im Traum begegnen wir auch im Märchen archetypis­chen Grundmuste­rn. Wie Dvoˇrák musikalisc­h mit Zeitmaßen umgeht, die immer wieder fließen und sehr stark wechseln, hat für mich sehr viel mit Bildsprach­en im Traum zu tun. Die Essenz des Stücks, die uns immer packt, ist zutiefst emotional: dass ein Wesen eine erste große Liebesentt­äuschung erleben und mit diesen Wunden zurechtkom­men muss. Das ist ein Schmerz, den wir alle kennen. Dazu kommen Doppelmora­l und gesellscha­ftliche Aspekte aus der Entstehung­szeit der Oper.

Wie wichtig ist Ihnen der heutige Blick auf das Werk?

Sehr wichtig. Hier bietet „Rusalka“als Märchenope­r eine besondere Chance: Ich muss den Stoff nicht erst für uns relevant machen, die Geschichte hat mit jedem von uns zu tun; die besondere Qualität der Bilder und Situatione­n von Märchen – manchmal verschlüss­elt wie im Traum und erst auf den zweiten Blick rational fassbar – ist, dass ihre emotionale Essenz sehr tief in uns eindringt. In ganz besonderem Maße noch verstärkt durch Dvoˇráks Musik. Ich möchte das Geheimnis und das Rätselvoll­e der Oper erhalten,

und dabei erreichen, dass jeder spürt: Da ist etwas drin, das absolut wahr ist. Ich kann es vielleicht nicht benennen, aber ich spüre es deutlich. Wie bei Pelléas et Mélisande, wo auch nicht genau zu ergründen ist, was der Abgrund ist.

Für Ihre Inszenieru­ng von „Pelléas et Mélisande“2010 in Aachen haben Sie Ihren ersten Preis bekommen. Was war das für ein Gefühl?

Wahnsinn. Ganz toll. Auch ein ganz großes Glück, dass ich diese Oper angeboten bekommen hatte. Ich wusste damals noch nicht, dass das genau meine Themen sind: diese misslingen­de Kommunikat­ion zwischen den Menschen, zwischen einem Paar, dieses Geheimnis, das um so eine Art von femme fragile entsteht, ein Geheimnis, das Männer gerne in eine Frau hineinproj­izieren und dieses sich Abarbeiten der Männerfigu­r(en) an einer Frau. Schon damals war die Frage für mich, wie fasse ich eine Geschichte in Bilder, die eine Konkretion und gleichzeit­ig Allgemeing­ültigkeit haben.

Sie arbeiten als freie Regisseuri­n. Wie viele Aufträge pro Jahr nehmen Sie an?

Drei Inszenieru­ngen. Ich bereite mich sehr gewissenha­ft vor, manchmal Jahre vor Probenbegi­nn und dann in einer intensiven mehrwöchig­en Phase bis zu zwölf Stunden am Tag. Ich muss ja jede Note aufsaugen. Grundsätzl­ich verbringe ich während der Proben den ganzen Tag mit dem Stück, ab 6.30 Uhr, gleich nach dem Aufstehen. Gäbe es ein Sprechstüc­k, für das Sie auf Musik verzichten würden? Sehr gerne würde ich von Witold Gombrowicz „Yvonne, Prinzessin von Burgund“machen. Da sind Phänomene drinnen, die ich unglaublic­h beängstige­nd finde und es fällt mir gerade auf, dass es viele Parallelen zu „Rusalka“gibt. Das würde mich so reizen, dass ich, vielleicht, auf die Musik verzichten könnte. Wobei, eine Oper mit dem Stoff gibt es auch.

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KRAINZ Eva-Marie Höckmayr inszeniert die „Rusalka“. Die Premiere ist morgen
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