Mit überraschend klarer Mehrheit hat das EU-Parlament für die Einleitung eines Verfahrens gegen Ungarn gestimmt.
Mit überraschend klarer Mehrheit entschied sich das EU-Parlament für die Einleitung eines Verfahrens gegen Ungarn.
Wie würden sich die Abgeordneten der EVPFraktion entscheiden? Bis zuletzt hielt sich die Spannung vor der Abstimmung über die Einleitung eines Artikel-7Verfahrens im EU-Parlament in Straßburg. Viktor Orbáns zorniger Auftritt bei der Debatte am Dienstag hatte nicht unbedingt zur Deeskalation beigetragen, aber immerhin gehört seine Partei Fidesz zur stimmenstärksten Gruppe EVP. Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte, wie berichtet, schon davor aufhorchen lassen, als er bekräftigte, dass alle ÖVP-Abgeordneten für das Verfahren stimmen würden – jene des Koalitionspartners FPÖ ausdrücklich nicht –, und am Dienstagabend traf sich die EVP noch einmal mit Orbán.
Doch schließlich war das Ergebnis eindeutig. 448 Abgeordnete stimmten für das Verfahren, 197 dagegen, 48 enthielten sich. Ein großer Erfolg für die grüne Berichterstatterin Judith Sargentini, die später ausdrücklich die Haltung von Kurz als Ratsvorsitzendem hervorhob, aber auch für alle die, die Un- garn schwere Verfehlungen gegen die Rechtsstaatlichkeit sowie Korruption und Unterdrückung der Meinungsfreiheit vorwarfen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte in seiner vormittäglichen „Rede zur Lage der Union“keine Zweifel offengelassen: Patriotismus sei eine Tugend, bornierter Nationalismus eine „perfide Lüge und ein heimtückisches Gift“. Juncker wörtlich: „Dort, wo der Rechtsstaat in Gefahr ist, muss Artikel 7 Anwendung finden.“
Von Neos, Grünen, Sozialdemokraten und Volkspartei kamen entsprechend zustimmende Reaktionen. Monika Vana (Grüne) kritisierte die Einladung von FPÖ-Chef HeinzChristian Strache an Orbán, in einer gemeinsamen EU-Fraktion zusammenzuarbeiten. Es sei „ein Skandal, dass die FPÖ den Antidemokraten Orbán als Helden feiert“. Es brauche ein entschiedenes Vorgehen des Rats und damit der Bundesregierung. Daran erinnerte auch der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Es sei an der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, das weitere Prozedere in die Hand zu nehmen.
In Ungarn gab die Landeswährung Forint kurz nach der Entscheidung nach. Als „kleinliche Rache einwanderungsfreundlicher Politiker“bezeichnete der ungarische Außenminister Pé- ter Szijjártó das Votum. Er sprach von „Betrug“und „rechtlich ungültigem Votum“, weil die Stimmenthaltungen nicht mitgerechnet worden seien – was aber am Ausgang nichts geändert hätte.
Als Nächstes geht der Fall zu den EU-Außenministern, die sich im September auch mit dem anderen Verfahren gegen Polen befassen. Für die Feststellung der Verletzung europäischer Grundwerte müssten vier Fünftel der EU-Staaten stimmen, für einen Stimmrechtsentzug im Rat wäre Einstimmigkeit erforderlich – wobei unklar ist, zu welchen Themen dann die Stimme entzogen wäre. Ungarn und Polen unterstützen einander gegenseitig gegenüber der EU, wo aber nicht zuletzt deshalb immer wieder Vorstöße unternommen werden, von der Ein- zur Mehrstimmigkeit zu kommen – auch das ist ein zentrales Anliegen von Juncker. Auch der künftige Finanzrahmen soll an die Rechtsstaatlichkeit gekoppelt
sein.