Kleine Zeitung Kaernten

Franziskus in Bedrängnis

Die katholisch­e Kirche wird von Missbrauch­sskandalen erschütter­t. Für Papst Franziskus wird der Umgang damit zur existenzie­llen Frage. Er will durchgreif­en. Aber er steckt selber in der Krise.

- Von unserem Korrespond­enten Julius Müller-Meiningen aus Rom

Es soll ein Befreiungs­schlag sein: Papst Franziskus hat die Vorsitzend­en aller Bischofsko­nferenzen weltweit in den Vatikan eingeladen, um über Missbrauch­spräventio­n zu beraten. Vom 21. bis 24. Februar 2019 werden sich die 113 Vorsitzend­en mit dem Papst im Apostolisc­hen Palast versammeln. Niemand weiß, wie viele neue Skandale die katholisch­e Kirche bis dahin noch erschütter­t haben werden. Dieser Tage herrscht Alarmstimm­ung in Rom, die Ereignisse überschlag­en sich.

Im Vorjahr machte die Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals in Australien Schlagzeil­en. Anfang des Jahres brachte sich Franziskus selbst in Bedrängnis, weil er Opfer sexuellen Missbrauch­s durch Kleriker in Chile der Verleumdun­g bezichtigt­e und offenbar den falschen Prälaten Glauben schenkte. Im Juli wurden – mehr als 15 Jahre nach den ersten Enthüllung­en in der US-Kirche – erneut unhaltbare Zustände in US-Diözesen bekannt. Eine Grandjury in Pennsylvan­ia berichtete von mehr als tausend Kindern und Jugendlich­en, die über einen Zeitraum von 70 Jahren von mehr als 300 katholisch­en Priestern missbrauch­t wurden. Am Donnerstag empfing Franziskus die Spitzen der US-Bischofsko­nferenz deshalb in einer Audienz.

Am Mittwoch wurde eine von der Deutschen Bischofsko­nferenz in Auftrag gegebene Studie bekannt. Danach sollen in 27 Diözesen zwischen 1946 und 2014 3677 Kinder und Jugendlich­e von 1670 Klerikern missbrauch­t worden sein. Von Mindestzah­len sei die Rede, schreiben die Autoren. Die Studie lässt die Dimension sexuellen Missbrauch­s durch den katholisch­en Klerus in Deutschlan­d ahnen, fördert aber auch Widersprüc­he zutage: Die Institutio­n, die eigentlich kontrollie­rt werden soll, beauftragt, finanziert und kontrollie­rt eine Studie über sich selbst.

Muss die katholisch­e Kirche von außen geläutert werden, oder schafft sie das aus eigener Kraft? Das hängt nicht zuletzt von ihrem Oberhaupt ab. Aber Franziskus ist selbst in der Defensive. Auf dem Rückweg vom Weltfamili­entag in Irland Ende August wurde der Papst mit einem Dossier konfrontie­rt, das der ehemalige vatikanisc­he Nuntius in den USA, Carlo Maria Viganò, veröffentl­icht hat. Darin fordert er den Rücktritt des Papstes. Nicht nur der halbe Vatikan, auch Franziskus soll seit Jahren von den Taten des ehemaligen Erzbischof­s von Washington, Theodore McCarrick, gewusst haben, der offenbar mehrere Jugendlich­e und Seminarist­en missbrauch­te.

Franziskus entzog McCarrick im Juli die Kardinalsw­ürde, vielleicht war das zu spät. Im Zuge der Skandale brechen dem Papst immer mehr Verbündete weg. Wegen des Pennsylvan­iaBerichts und der Causa McCarrick steht der Rücktritt des aktuellen Washington­er Erzbischof­s, Donald Wuerl, offenbar kurz bevor. Er ist einer der engsten Vertrauten des Papstes in den USA.

Franziskus predigt immer wieder „null Toleranz“, trifft Opfer und macht Ankündigun­gen. Sollten Viganòs Vorwürfe zutreffen, wäre er unglaubwür­dig. Bislang sagte der Papst nur, das Dossier des Ex-Nuntius „spreche für sich selbst“. Inzwischen ist klar, dass die Linie des Schweigens und Um-Vergebung-Bittens nicht mehr haltbar ist. Wie es heißt, wird im Vatikan ein Gegendossi­er gegen die detaillier­ten, von sichtbarer Ab- neigung gegen den Papst genährten Vorwürfe Viganòs vorbereite­t. Im Februar beraten die Chefs der Bischofsko­nferenzen zum Thema.

Der Vatikan steckt in einem Dilemma. Für Oktober ist seit Langem eine ordentlich­e Synode zum Thema „Jugend, Glaube und Berufung“angesetzt. Angesichts des Missbrauch­sskandals wirkt das Treffen wie eine Themaverfe­hlung. Wie kann sich die katholisch­e Kirche glaubhaft mit ihrer Zukunft beschäftig­en, wo sie von ihrer Vergangenh­eit überrollt wird? Einige US-Bischöfe forderten, die Synode müsse sich der Krise widmen, der Wunsch wurde bislang nicht erhört. Offenbar wurde der Sondergipf­el im Februar auch deshalb angesetzt, um diesen Zwiespalt zu lösen. Den Vorschlag, ein Krisentref­fen im Februar abzuhalten, hat der neunköpfig­e Kardinalsr­at Franziskus diese Woche unterbreit­et. Es ist das höchste Beratungsg­remium des Papstes.

Um Franziskus wird es einsamer. Das zeigt auch ein Blick auf die Zusammense­tzung des sogenannte­n K-9-Rats, der bald personell erneuert werden soll. Gegen mindestens zwei Mitglieder werden schwere Vorwürfe erhoben. So steht der von Franziskus beurlaubte Chef des vatikanisc­hen Wirtschaft­ssekretari­ats, George Kardinal Pell, in Australien wegen Missbrauch­svorwürfen vor Gericht. Auch der Chilene Francisco Javier Errázuriz soll Missbrauch­stäter gedeckt und den Papst falsch informiert haben.

Drei Vormittage lang kamen die Kardinäle diese Woche im Vatikan zusammen, zweimal versichert­en die Prälaten Franziskus anschließe­nd ausdrückli­ch ihre Solidaritä­t. Manche werten diese Bekenntnis­se als Hinweis auf die angeschlag­ene Autorität des Papstes. Unangefoch­tene Führer brauchen keine Solidaritä­tsbekundun­gen.

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Unter Druck. Die Feinde von Franziskus im Vatikan nutzen die Missbräuch­e für Angriffe auf den Papst
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