Doppelter Rittberger
Das war dann doch ungewöhnlich. Am Montag deutete Bundeskanzler Sebastian Kurz im ORF-Sommergespräch an, dass er sich dem Wunsch des Verfassungsgerichtshofes beugen werde, die Ehe auch für Homosexuelle zu öffnen. 48 Stunden später setzte die FPÖ nach ihrer Klubklausur in der burgenländischen Martins-Therme einen Kontrapunkt. Klubchef
verkündete, dass die Freiheitlichen an einer Privilegierung der Ehe, wie es bisher von der ÖVP stets propagiert wurde, festhalten wollen. Der überraschenden Aussage des ÖVPChefs, dass er die Einleitung eines Prüfverfahrens gegen Ungarn auf EU-Ebene unterstütze, setzte FPÖ-Chef HeinzChristian Strache via Facebook das verlockende Angebot an Viktor Orbán entgegen, im EUParlament doch die Fronten zu wechseln, der EU-Volkspartei den Rücken zu kehren und der EU-kritischen Fraktion beizutreten. Ist der doppelte Rittberger ein erstes Anzeichen eines türkis-blauen Entfremdungsprozesses? Beginnt die Koalition auseinanderzudriften? Wird es in Zukunft ruppiger zwischen ÖVP und FPÖ? er so etwas befürchtet oder erhofft hat: Es gibt keine Hinweise, dass in der Koalition der Haussegen schief hängt. Wohl zerbricht man sich in der FPÖ verstärkt den Kopf, wie man der eigenen Basis die blaue Handschrift besser vermitteln kann. Kurz legt in allen Umfragen zu, bei den Freiheitlichen zeigte die Kurve schon leicht nach unten. Das weiß auch die ÖVP.
WBesorgt um die blaue Handschrift: FPÖ-Chef Strache
Auffallend ist, dass der Kanzler in letzter Zeit verstärkt dem Vizekanzler den Vortritt lässt. So war es Strache, der die Einführung des Kopftuchs an Volksschulen, die Abschiebung von Asyl-Lehrlingen sowie die Einführung einer Mindestpension in Höhe von 1200 Euro alleine verkünden durfte. Im Sicherheitsbereich haben Innenminister Herbert Kickl und Verteidigungsminister Mario Kunasek freie Bahn. Auch die Einführung von Tempo 140, die Beseitigung von Radarfallen oder die Rekrutierung des polizeilichen Nachwuchses mit schnittigen Boliden entsprechen einem blauen Konzept. m Rande der jüngsten Klubklausur wurden allerdings auch die eigenen Schwachstellen angesprochen. Unter dem Mantel der Verschwiegenheit weiß ein FPÖ-Politiker zu berichten, dass Sozialministerin Beate Hartinger-Klein nicht mehr fest im Sattel sitze. Eine Ablöse stehe aber nicht im Raum, angesichts der für den Herbst geplanten Reformschritte zur Mindestsicherung,
Azur Notstandshilfe und zum Arbeitsmarktservice (AMS) sorgten sich nicht wenige Freiheitliche, dass die Ministerin in ihrer Unbekümmertheit die FPÖ, die sich als soziale Heimatpartei versteht, durch unbedachte Äußerungen in einen kommunikationspolitischen Super-GAU stürzen könnte – ausgerechnet in einem für die blaue Klientel hochsensiblen Feld.
Die Ernennung des umstrittenen FPÖ-Manns Hubert Keyl zum Richter am Bundesverwaltungsgericht schlägt Wellen. SPÖ und Liste Pilz appellieren an den Bundespräsidenten, die Beförderung zu verhindern. Keyl, Freund des verurteilten Neonazis Gottfried Küssel, hat im Blatt „Zur Zeit“gegen die Seligsprechung des österreichischen Widerstandskämpfers Franz Jägerstätter polemisiert. Wer den Dienst in der Wehrmacht verweigert hat, sei „ein Verräter. Verräter soll man verurteilen, nicht seligsprechen.“