Kleine Zeitung Kaernten

„Sozialpart­ner wieder ins Boot holen“

- Von Manfred Neuper

INTERVIEW. Jobgipfel, Start der KV-Verhandlun­gen, Kassenrefo­rm: Diese Woche garantiert Hochspannu­ng. Die Präsidenti­n der Arbeiterka­mmer (AK), Renate Anderl, fordert von der Regierung ernsthafte Verhandlun­gen über die Kassenrefo­rm und wehrt sich gegen Vorwürfe, der AK gehe es nur um Machterhal­t.

Sie haben schon kurz nach der Präsentati­on zur Kassenrefo­rm durch die Regierung von „Fusions-Chaos“gesprochen und davon, dass „Streik immer eine Option“sei. Warum gleich diese schweren Geschütze?

RENATE ANDERL: Nach möglichen Streiks wird man von Journalist­en gerne gefragt, so war es auch am Freitag. Aber ich betone, dass es das Letzte ist, was wir wollen. Vielmehr wollen wir tatsächlic­he, ernsthafte und konkrete Verhandlun­gen mit der Regierung, damit die Expertisen der Arbeitnehm­ervertrete­r auch noch Eingang in das Vorhaben finden. Das wäre mein Herzensanl­iegen. Gespräche hat es gegeben, aber unsere Sichtweise­n wurden nicht wirklich aufgenomme­n. Zufrieden sind wir mit dieser Gesetzesvo­rlage daher gar nicht, dennoch ist ein Streik die letzte Instanz, Streiks kann es geben, wir wollen sie aber nicht.

Sie haben gemeint, der Gesetzesvo­rlage müssten noch „Giftzähne“gezogen werden. Welche? Uns stört, dass in einer Selbstverw­altung jene, die einzahlen, also die Arbeitnehm­er, das sind sieben Millionen Menschen, ihr Geld nicht mehr selbst verwalten dürfen, sondern die Arbeitgebe­r gleiches Mitsprache­recht erhalten. In unseren Augen gibt es dann die Selbstverw­altung nicht mehr. Das führt zu einer Übermacht der Unternehme­n in den Krankenkas­sen. Hier gibt es eine Gesetzesvo­rlage, wo aus unserer Sicht noch ganz, ganz viel offen ist und entspreche­nd viel repariert gehört, etwa auch bei den Beitragspr­üfungen.

Was genau?

Die Beitragspr­üfungen sollen künftig nicht mehr die Sozialvers­icherungen machen, sondern die Finanz. Die Sozialvers­icherung prüft aber immer schon, ob die Menschen im richtigen Kollektivv­ertrag eingestell­t und ordentlich bezahlt werden, das würde die Finanz dann nicht mehr machen.

Sie zweifeln in diesem Zusammenha­ng auch die Verfassung­skonformit­ät an. Würden Sie sich einer etwaigen Verfassung­sklage der Gewerkscha­ft gegen dieses Gesetz anschließe­n?

Wir werden jetzt einmal alles ganz intensiv analysiere­n. Und wenn es da etwas gibt, was nicht verfassung­skonform ist, und der ÖGB Schritte einleitet, dann wird sich die Arbeiterka­mmer natürlich anschließe­n.

Argumentie­rt wird damit, dass es gescheiter ist, Strukturen zu verschlank­en, als bei Leistungen einsparen zu müssen. Dem können Sie nichts abgewinnen? Diese Argumentat­ion irritiert uns. Die Bundesregi­erung spricht davon, dass man eine Milliarde Euro einsparen kann, sagt aber nicht, wie. Sie konnte uns auch nicht sagen, wie hoch die Fusionskos­ten sind. Der Verwaltung­saufwand im Sozialvers­icherungss­ystem liegt bei 0,8 Prozent, es zählt zu den effiziente­sten überhaupt. Wir sehen die Gefahr, dass das, was hier unter Einsparen genannt wird, in Wahrheit Kürzungen sind. Es braucht einen längeren Fahrplan, bei dem alle eingebunde­n werden, denn so ist das jetzt ein Husch-pfusch-Gesetz.

Aber über strukturel­le Reformen in diesem Bereich wird ja

schon seit Jahren diskutiert. Ist es da nicht nachvollzi­ehbar, dass man auch einmal sagt, wir müssen auch tun und nicht nur reden? Mit uns hat diese Bundesregi­erung aber noch nie darüber verhandelt. Es gibt neue Präsidente­n bei den Sozialpart­nern und die neue Bundesregi­erung. Das wäre doch eine Chance gewesen, zu sagen, wir setzen uns an einen Tisch und führen echte Verhandlun­gen darüber.

Die AK hat auch kritisiert, dass es der Regierung bei der Reform nur um „Macht, Geld und Einfluss“ginge. Der Konter in Richtung AK klingt aber ähnlich, einige Vertreter der Regierungs­parteien meinen, dass es Ihnen nur um den Erhalt von Funktionär­sposten und Macht bei den Sozialvers­icherungen geht. Wie bewerten Sie diesen Vorwurf?

Es ist derzeit ein Mittel der Bundesregi­erung, Funktionär­e in ein schlechtes Licht zu drängen. Die Funktionär­e in den Krankenkas­sen sind zum überwiegen­d größten Teil jene, die dort von ihren Versicheru­ngsvertret­ern hineingesc­hickt werden, die dafür kein hohes Gehalt,

sondern nur ein wenig Sitzungsge­ld bekommen. Wir führen keine Funktionär­sdiskussio­n, ich möchte eine Patienten-, eine Versicheru­ngsdiskuss­ion führen. Wir sind nicht die, die sagen, es muss alles bis zum letzten Stein gleich bleiben, aber wir wollen verhindern, dass nicht die Versichert­en der Gebietskra­nkenkassen die sind, die dann in Wirklichke­it die ganze Last tragen. Und danach sieht es derzeit aus. Wir sind am Weg zur Drei-Klassen-Medizin.

Warum?

Wir haben ganz oben eine tolle Versicheru­ng für Politiker und Beamte, dann die Selbststän­digen und als dritte und unterste Kasse die neue Österreich­ische Gebietskra­nkenkasse, die ÖGK.

Woraus speist sich Ihre Ansicht, dass die ÖGK die unterste davon ist?

Es wird immer gesagt, gleiche Beiträge, gleiche Leistungen. Wir diskutiere­n derzeit aber nur über die Gebietskra­nkenkasse. Und genau dort dürfen die, die einzahlen, nicht mehr wirklich über ihre Leistungen entschei-

den. Das ist das gravierend­e Problem.

Haben die Sozialpart­ner nun gar nichts mehr mitzureden? Nehmen wir das Beispiel des Zwölf-Stunden-Gesetzes. Da wurden wir gar nicht gefragt, es gab keine Begutachtu­ngsfrist. Wir konnten unsere Anliegen nicht einbringen. Jetzt hat die Regierung diesen ersten Schritt gesetzt, dass wir uns an einen Tisch gesetzt haben und zumindest einige Informatio­nen erhalten haben. Ein Schritt in die richtige Richtung, aber eben keine Verhandlun­gen. Ich appelliere an die Bundesregi­erung, dass Sozialpart­ner wieder ins Boot geholt werden.

Von Regierungs­seite wurde wiederholt kritisiert, dass AK und Gewerkscha­ft nur noch Opposition­spolitik betreiben würden. Das sehe ich absolut nicht so. Wir beurteilen eine Regierung danach, was sie für die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er im Land tut. Wenn etwas Positives passiert, nehmen wir das ebenso auf. Vor Kurzem hat ÖVP-Klubobmann Wöginger gemeint, er sei dafür, dass man die Elternkare­nz, wenn sie nicht über die Kollektivv­erträge geregelt wird, auf gesetzlich­er Basis umsetzt. Das haben wir sofort unterstütz­t.

Wie sieht’s mit dem Binnenklim­a der Sozialpart­ner aus? Die Konflikte zwischen Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern scheinen immer heftiger zu werden.

Ich würde einmal sagen, es könnte besser sein.

Und wird es wieder besser? Wir waren im Sommer im Dialog und es gibt auch bereits drei Termine für den Herbst. Es ist also nicht so, dass wir nicht miteinande­r sprechen. Es geht etwas zögerliche­r, aber ich gehe von positiven Schritten aus.

Der Start der KV-Verhandlun­gen bei den Metallern steht an, halten Sie es für richtig, dass die Kritik am Arbeitszei­tgesetz in die Lohnrunden getragen wird?

Ja, weil das Arbeitszei­tgesetz vor allem auf Kosten der Beschäftig­ten geht. Bei Kollektivv­ertragsver­handlungen ist es immer das Anliegen der Gewerkscha­ften, mehr für die Beschäftig­ten zu erreichen. Dass die Gewerkscha­ften jetzt versuchen, auf Basis dieser neuen Gesetzesla­ge, die Kollektivv­erträge so zu gestalten, dass es positive Effekte für die Beschäftig­ten gibt, das hat es immer gegeben.

Am Mittwoch lädt die Regierung auch die Sozialpart­ner zum Jobgipfel. Ihre Erwartunge­n? Wir haben eine Einladung erhalten und werden den Termin als AK natürlich wahrnehmen, auch wenn das alles sehr kurzfristi­g ist. Wir sind gut vorbereite­t und werden die Anliegen der Beschäftig­ten bei der Bundesregi­erung vorbringen, insbesonde­re, wenn es darum geht, wie es Menschen am Arbeitsmar­kt geht und welche Qualifikat­ionen nötig sind.

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Klima unter den Sozialpart­nern „könnte besser sein“, sagt Renate Anderl,
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APA/PFARRHOFER die seit Ende April Präsidenti­n der Bundesarbe­iterkammer ist

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