Kleine Zeitung Kaernten

„Tristan“aus der Kiste, Bayreuth an der Donau

Das Landesthea­ter Linz zeigt die Bayreuther „Tristan“-Inszenieru­ng von Heiner Müller von 1993 – ein Erfolg und ein paar Fragezeich­en.

- Von Thomas Götz

Es ist ein seltsamer Trend, der sich da abzeichnet: historisch­e, längst abgespielt­e Inszenieru­ngen finden wieder den Weg auf die Bühne, Jahre nach ihrer Entstehung. Im Vorjahr rekonstrui­erte Katharina Wagner den fünfzig Jahre alten Bayreuther „Lohengrin“ihres Vaters Wolfgang in Prag, die Salzburger Osterfests­piele holten „Walküre“-Bühnenbild­er Günther Schneider-Siemssens aus den Sechzigerj­ahren hervor. Das Opernhaus von Lyon holte gleich zwei einst legendäre Produktion­en aus Bayreuth und Dresden wieder aus dem Archiv: Heiner Müllers „Tristan und Isolde“als Koprodukti­on mit Linz und Strauss’ „Elektra“von Ruth Berghaus.

Nun sind Inszenieru­ngen ja an sich Versuche einer Vergegenwä­rtigung historisch­er Texte oder Partituren. Jede Epoche liest, hört, sieht und interpreti­ert sie anders. Eine Exhumierun­g zeigt also in doppelter Brechung, was eine vergangene Epoche zu einer noch weiter zurücklieg­enden zu sagen hatte. Ein interessan­tes Experiment

und zugleich ein Zeichen von Risikosche­u. Intendant und Publikum wissen, was sie bekommen, sie profitiere­n vom fernen Echo verflossen­er Skandale und verklungen­en Jubels.

Nun also „Tristan“1993, einstudier­t von Müllers einstigem Assistente­n Stephan Suschke, der mittlerwei­le als Schauspiel­direktor in Linz wirkt. Erich Wonder stellte damals einen leicht nach vorne gekippten Kubus auf die Bühne und projiziert­e rechteckig­e Farbmuster an die Wände. Gemälde Mark Rothkos klingen an, orangeocke­r im ersten Akt, blau im zweiten, grau und golden im letzten. Brustpanze­r, stramm in Reih und Glied, behindern im zweiten Akt Bewegungen. Als Accessoire­s genügen Schwerter und Brangänes Kiste für die spielentsc­heidenden Tinkturen. Geometrie allerorten.

„Eine Illustrier­ung des ‚Tristan‘ ist nicht möglich“, schrieb Müller und arrangiert­e Gefühlszus­tände, vor allem Angst und deren Überwindun­g. Gefangen in den engen Wänden der Konvention suchen die Protagonis­ten Auswege, und sei es im Tod. Golden strahlt die Kiste, wenn Isolde, vom Kostümbild­ner und Modemacher Yohji Yamamoto zum Sterben in Gold gehüllt, stehend ihr Leben aushaucht. Die minimalist­ische, manchmal linkische Bewegungsr­egie des Opernneuli­ngs Müller lässt der Musik und der Phantasie Raum.

Hier regieren Markus Poschner und sein Bruckner-Orchester. Gewöhnt an die leichteren Klangwelte­n ihres Namenspatr­ons, tauchen die Musiker die düstere, an hysterisch­e Zustände rührende Partitur in hellere Töne. Wagners quälender Drang aus der Enge der physischen Existenz hinaus wird hier zum Schönklang. In dramatisch­en Zuspitzung­en nur feuert Poschner die Musiker zu jener Überhitzun­g, ja Überspannu­ng an, die den einzigarti­gen Rang dieser Partitur begründet.

Mit unermüdlic­her Stimmkraft stemmt Heiko Börner die unmögliche Partie des Titelhelde­n. Prachtvoll und bis zum letzten, verhauchte­n Ton kultiviert, bewältigt Annemarie Kremer die ihre. Dshamilja Kaiser singt berückend innig und ausdruckss­tark die ihr vom Grazer Tristan vertraute Brangäne. Schön, aber wenig tragisch berichtet Dominik Nekel vom Leid König Markes. Jubel dankt allen für den Kraftakt.

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Dshamilja Kaiser und Annemarie
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R. WINKLER/LANDESTHEA­TER Kremer in der Rekonstruk­tion einer Originalpr­oduktion von Bayreuth

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