„Tristan“aus der Kiste, Bayreuth an der Donau
Das Landestheater Linz zeigt die Bayreuther „Tristan“-Inszenierung von Heiner Müller von 1993 – ein Erfolg und ein paar Fragezeichen.
Es ist ein seltsamer Trend, der sich da abzeichnet: historische, längst abgespielte Inszenierungen finden wieder den Weg auf die Bühne, Jahre nach ihrer Entstehung. Im Vorjahr rekonstruierte Katharina Wagner den fünfzig Jahre alten Bayreuther „Lohengrin“ihres Vaters Wolfgang in Prag, die Salzburger Osterfestspiele holten „Walküre“-Bühnenbilder Günther Schneider-Siemssens aus den Sechzigerjahren hervor. Das Opernhaus von Lyon holte gleich zwei einst legendäre Produktionen aus Bayreuth und Dresden wieder aus dem Archiv: Heiner Müllers „Tristan und Isolde“als Koproduktion mit Linz und Strauss’ „Elektra“von Ruth Berghaus.
Nun sind Inszenierungen ja an sich Versuche einer Vergegenwärtigung historischer Texte oder Partituren. Jede Epoche liest, hört, sieht und interpretiert sie anders. Eine Exhumierung zeigt also in doppelter Brechung, was eine vergangene Epoche zu einer noch weiter zurückliegenden zu sagen hatte. Ein interessantes Experiment
und zugleich ein Zeichen von Risikoscheu. Intendant und Publikum wissen, was sie bekommen, sie profitieren vom fernen Echo verflossener Skandale und verklungenen Jubels.
Nun also „Tristan“1993, einstudiert von Müllers einstigem Assistenten Stephan Suschke, der mittlerweile als Schauspieldirektor in Linz wirkt. Erich Wonder stellte damals einen leicht nach vorne gekippten Kubus auf die Bühne und projizierte rechteckige Farbmuster an die Wände. Gemälde Mark Rothkos klingen an, orangeocker im ersten Akt, blau im zweiten, grau und golden im letzten. Brustpanzer, stramm in Reih und Glied, behindern im zweiten Akt Bewegungen. Als Accessoires genügen Schwerter und Brangänes Kiste für die spielentscheidenden Tinkturen. Geometrie allerorten.
„Eine Illustrierung des ‚Tristan‘ ist nicht möglich“, schrieb Müller und arrangierte Gefühlszustände, vor allem Angst und deren Überwindung. Gefangen in den engen Wänden der Konvention suchen die Protagonisten Auswege, und sei es im Tod. Golden strahlt die Kiste, wenn Isolde, vom Kostümbildner und Modemacher Yohji Yamamoto zum Sterben in Gold gehüllt, stehend ihr Leben aushaucht. Die minimalistische, manchmal linkische Bewegungsregie des Opernneulings Müller lässt der Musik und der Phantasie Raum.
Hier regieren Markus Poschner und sein Bruckner-Orchester. Gewöhnt an die leichteren Klangwelten ihres Namenspatrons, tauchen die Musiker die düstere, an hysterische Zustände rührende Partitur in hellere Töne. Wagners quälender Drang aus der Enge der physischen Existenz hinaus wird hier zum Schönklang. In dramatischen Zuspitzungen nur feuert Poschner die Musiker zu jener Überhitzung, ja Überspannung an, die den einzigartigen Rang dieser Partitur begründet.
Mit unermüdlicher Stimmkraft stemmt Heiko Börner die unmögliche Partie des Titelhelden. Prachtvoll und bis zum letzten, verhauchten Ton kultiviert, bewältigt Annemarie Kremer die ihre. Dshamilja Kaiser singt berückend innig und ausdrucksstark die ihr vom Grazer Tristan vertraute Brangäne. Schön, aber wenig tragisch berichtet Dominik Nekel vom Leid König Markes. Jubel dankt allen für den Kraftakt.