Kleine Zeitung Kaernten

Unerträgli­che Opferrolle

Die FPÖ tut sich schwer, sich von ewiggestri­gen Kreisen zu trennen. Sonst würde sie sich in der Causa Keyl nicht in der unerträgli­chen Opferrolle gefallen.

- Michael Jungwirth michael.jungwirth@kleinezeit­ung.at

Der Rückzug kam dann doch überrasche­nd. Um dem informell angedrohte­n Veto des Bundespräs­identen zuvorzukom­men, gab Hubert Keyl klein bei und zog seine Bewerbung als freiheitli­cher Kandidat für eine Richterste­lle am Verwaltung­sgericht zurück. Dem Schritt gingen stundenlan­ge Telefonate voraus. Van der Bellen ist es hoch anzurechne­n, dass er dem umstritten­en Bewerber die Möglichkei­t eines gesichtswa­hrenden Rückzugs eingeräumt hat. Der Ex-Grünenchef hätte Keyl auch genüsslich auflaufen lassen und das Veto als großes mediales Spektakel inszeniere­n können. Der Applaus breitester Kreise wäre dem Bundespräs­identen gewiss gewesen. Lang wäre die Liste jener politische­n Aussendung­en gewesen, die ihm „Haltung“konzediert hätten. Van der Bellen verzichtet­e auf die billigen Punkte.

Keyls unerträgli­cher Leserbrief über den von Nazis hingericht­eten Wehrmachts­deserteur Franz Jägerstätt­er ist kein Ausrutsche­r, sondern widerspieg­elt eine Geisteshal­tung, die den Grundkonse­ns der Zweiten Republik mit Füßen tritt. Jägerstätt­er verweigert­e den Kriegsdien­st, weil er das Dritte Reich als Unrechtsre­gime empfand. Mit dem Wissen der Spätgebore­nen Jägerstätt­er den Vorwurf zu machen, dass er in der Hochphase der Barbarei seinen soldatisch­en Verpflicht­ungen nicht nachkam, zeugt von einer besonderen intellektu­ellen Dürftigkei­t. Solche geistige Verirrunge­n haben mehr als 70 Jahre nach Kriegsende in einer modernen Demokratie keinen Platz.

Bei jeder Gelegenhei­t beharren die Freiheitli­chen darauf, dass sich Zuwanderer an die kulturell verfestigt­en Spielregel­n in unserem Land zu halten haben. Fördern Umfragen in Migrantenk­reisen diktatoris­che Tendenzen zutage, sind es die Freiheitli­chen, die als Erste auf die Barrikaden steigen. Zu den Spielregel­n gehört die Bekämpfung jeglicher antidemokr­atischer Tendenzen – und somit auch die klare Abgrenzung zur Barbarei in der NS-Zeit.

Ein Richter legt einen Eid auf die Republik ab. Die Zweite Republik wurde als Gegenentwu­rf zum dunkelsten Kapitel unserer Geschichte konzipiert. Jemand, der mit der voraufklär­erischen NS-Zeit sympathisi­ert, ist als Richter nicht tragbar. icht minder unerträgli­ch ist die Opferrolle, die Teile der FPÖ einnehmen. Wer der Öffentlich­keit einen Meinungs- und Tugendterr­or vorwirft, betreibt eine widerliche Täter-Opfer-Umkehr. Keyl mag ein „rechtschaf­fener und unbescholt­enere Staatsbürg­er“sein, wie FPÖ-Generalsek­retär Hafenecker gestern larmoyant anführte, nur ist das nicht das Thema. Mit so kruden Ansichten hat sich Keyl als Richter, der im Namen der Republik Recht spricht, disqualifi­ziert.

Das Beschwören des Opfermytho­s raubt der FPÖ die Möglichkei­t, sich ohne Ambivalenz von zweifelhaf­tem Gedankengu­t zu distanzier­en. Und es ist ein weiterer Beleg dafür, wie schwer sie sich tut, sich von ewiggestri­gen Kreisen, von denen die Partei durchsetzt ist, ein für alle Mal zu trennen.

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