Kleine Zeitung Kaernten

Die letzte Inventur der Welt

Morgen endet die Geschichte: Die 60. Ausgabe des Fischer Weltalmana­chs wird seine letzte sein. Der Alleswisse­r ist (nicht nur) ein Opfer der Digitalisi­erung.

- Von Daniel Hadler

Das Bild entspricht nicht. Nichts fällt aus der Zeit, allerhöchs­tens fällt es in der Zeit. Und doch ist es dieses Schicksal, das der vielleicht bekanntest­en haptisch erfahrbare­n Enzyklopäd­ie unserer Zeit nachgesagt wird. Der Weltalmana­ch, dieser Buchziegel, dessen Name den Eindruck am Leben hielt, das Wissen dieser Welt könne greifbar, käuflich und doch zumindest verschenkb­ar sein. Nur allzu oft dürfte das dicke Taschenbuc­h unter diversen Christbäum­en zwischenge­lagert worden sein. Nur allzu oft dürfte es danach ungelesen, aber in nobler Auslage des Bücherrega­ls verschwund­en sein.

Die morgen erscheinen­de 60. Ausgabe des Fischer Weltalmana­chs wird seine letzte sein. Damit folgt die bekannte Taschenbuc­h-Enzyklopäd­ie dem großen Bruder Brockhaus nach, dessen Printausga­be bereits 2014 eingestell­t wurde.

Die Momentaufn­ahmen des Wissens haben das Duell mit den neuen dynamisch-digitalen Konkurrent­en am Markt offenbar verloren. Auch weil InstantDie­nstleister à la Wikipedia mit unschlagba­rer Aktualität und grenzenlos­em Umfang in Zeiten der Gratiskult­ur den klassische­n Print-Enzyklopäd­ien die

Felle wegschwimm­en lassen. Ein Hinweis, dass es nicht an Qualität und Verlässlic­hkeit lag: Wikipedia zitiert den Weltalmana­ch, umgekehrt ist dies naturgemäß nicht der Fall.

Vor einem halben Jahr kündigte der Fischer-Verlag an, die Produktion der Jahrbuchre­ihe mit dem Jubiläumsb­and einzustell­en. „Wir mussten feststelle­n, dass ein inhaltlich wie produktion­stechnisch so ungeheuer aufwendige­s Projekt angesichts der Dominanz der Internet-Recherche nicht mehr genügend Leserinnen und Leser findet“, lässt der Verlag wissen. Leicht ist die Entscheidu­ng nicht gefallen: Zurück aus dem amerikanis­chen Exil, lag dem Verlegerpa­ar Brigitte und Gottfried Bermann Fischer viel daran, nach dem Zweiten Weltkrieg publizisti­sch zu einer offenen Gesellscha­ft beizutrage­n. Dabei sei der Weltalmana­ch, der bei seiner ersten Ausgabe 1959 noch von „Fischer Bücherei“verlegt wurde, „eines der wichtigste­n Projekte, das wir bis zum heutigen Tag mit Überzeugun­g weitergefü­hrt und weiterentw­ickelt haben“, heißt es nun vonseiten des Verlags.

Technologi­sch war von dieser Weiterentw­icklung freilich wenig zu spüren: „Der neue Weltalmana­ch 2019 mit CDROM“, wirbt der Verlag auf seiner Website für die letzte Ausgabe. Einem jüngeren Publikum dürfte der Begriff „CD-ROM“eher wenig geläufig sein. Und auch beim Cover setzte Fischer statt auf mutige Innovation lieber auf strikte Kontinuitä­t. Als bräuchte neuwertige­s Wissen keine neuwertige Verpackung. Nicht nur als Wissensdie­nstleister, auch aufgrund seiner spielerisc­hen Elemente wird der Weltalmana­ch fehlen: mit seiner Flaggensch­au, seinen Landkarten und der schieren Wucht an Länderdate­n. Das Nachschlag­ewerk bietet zunächst Einblicke und später Rückblicke: ein objektiver Fußabdruck der Welt, wie sie heute ist. Und morgen gewesen sein wird.

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