Die letzte Inventur der Welt
Morgen endet die Geschichte: Die 60. Ausgabe des Fischer Weltalmanachs wird seine letzte sein. Der Alleswisser ist (nicht nur) ein Opfer der Digitalisierung.
Das Bild entspricht nicht. Nichts fällt aus der Zeit, allerhöchstens fällt es in der Zeit. Und doch ist es dieses Schicksal, das der vielleicht bekanntesten haptisch erfahrbaren Enzyklopädie unserer Zeit nachgesagt wird. Der Weltalmanach, dieser Buchziegel, dessen Name den Eindruck am Leben hielt, das Wissen dieser Welt könne greifbar, käuflich und doch zumindest verschenkbar sein. Nur allzu oft dürfte das dicke Taschenbuch unter diversen Christbäumen zwischengelagert worden sein. Nur allzu oft dürfte es danach ungelesen, aber in nobler Auslage des Bücherregals verschwunden sein.
Die morgen erscheinende 60. Ausgabe des Fischer Weltalmanachs wird seine letzte sein. Damit folgt die bekannte Taschenbuch-Enzyklopädie dem großen Bruder Brockhaus nach, dessen Printausgabe bereits 2014 eingestellt wurde.
Die Momentaufnahmen des Wissens haben das Duell mit den neuen dynamisch-digitalen Konkurrenten am Markt offenbar verloren. Auch weil InstantDienstleister à la Wikipedia mit unschlagbarer Aktualität und grenzenlosem Umfang in Zeiten der Gratiskultur den klassischen Print-Enzyklopädien die
Felle wegschwimmen lassen. Ein Hinweis, dass es nicht an Qualität und Verlässlichkeit lag: Wikipedia zitiert den Weltalmanach, umgekehrt ist dies naturgemäß nicht der Fall.
Vor einem halben Jahr kündigte der Fischer-Verlag an, die Produktion der Jahrbuchreihe mit dem Jubiläumsband einzustellen. „Wir mussten feststellen, dass ein inhaltlich wie produktionstechnisch so ungeheuer aufwendiges Projekt angesichts der Dominanz der Internet-Recherche nicht mehr genügend Leserinnen und Leser findet“, lässt der Verlag wissen. Leicht ist die Entscheidung nicht gefallen: Zurück aus dem amerikanischen Exil, lag dem Verlegerpaar Brigitte und Gottfried Bermann Fischer viel daran, nach dem Zweiten Weltkrieg publizistisch zu einer offenen Gesellschaft beizutragen. Dabei sei der Weltalmanach, der bei seiner ersten Ausgabe 1959 noch von „Fischer Bücherei“verlegt wurde, „eines der wichtigsten Projekte, das wir bis zum heutigen Tag mit Überzeugung weitergeführt und weiterentwickelt haben“, heißt es nun vonseiten des Verlags.
Technologisch war von dieser Weiterentwicklung freilich wenig zu spüren: „Der neue Weltalmanach 2019 mit CDROM“, wirbt der Verlag auf seiner Website für die letzte Ausgabe. Einem jüngeren Publikum dürfte der Begriff „CD-ROM“eher wenig geläufig sein. Und auch beim Cover setzte Fischer statt auf mutige Innovation lieber auf strikte Kontinuität. Als bräuchte neuwertiges Wissen keine neuwertige Verpackung. Nicht nur als Wissensdienstleister, auch aufgrund seiner spielerischen Elemente wird der Weltalmanach fehlen: mit seiner Flaggenschau, seinen Landkarten und der schieren Wucht an Länderdaten. Das Nachschlagewerk bietet zunächst Einblicke und später Rückblicke: ein objektiver Fußabdruck der Welt, wie sie heute ist. Und morgen gewesen sein wird.