Kleine Zeitung Kaernten

Volkskrank­heit des Vergessens

Demenz, die häufigste Form ist Alzheimer, stellt die gesamte Gesellscha­ft vor große Herausford­erungen: was Betroffene und Angehörige brauchen und wie Sie vorsorgen können – diesen Themen widmet sich unsere Serie, die heute startet.

- Von Sonja Krause

Ich habe mich sozusagen verloren“: Diese Worte von Auguste Deter, jener Patientin, an der der Arzt Alois Alzheimer die Krankheit des Vergessens erstmals diagnostiz­ierte, vermitteln einen beklemmend­en Eindruck davon, was Alzheimer-Demenz mit einem Betroffene­n macht. Krankhafte Veränderun­gen im Gehirn führen dazu, dass man verliert, was man ein Leben lang gelernt und hat: Sind es zuerst nur die zeitliche und räumliche Orientieru­ng, folgen in späteren Stadien die Erinnerung­en an das eigene Leben, die Fähigkeit zu sprechen, die Kenntnis der Menschen, die einem am nächsten stehen.

Schon heute sind 130.000 Österreich­er von verschiede­nen Formen der Demenz – Alzheimer ist die häufigste – betroffen. Schon heute sprechen Gesundheit­sexperten davon, dass Demenz eine der größten, wenn nicht die größte Herausford­erung für das Gesundheit­ssystem ist. Denn: Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Betroffene­n mehr als verdoppeln. Der Grund: Die Bevölkerun­g wird immer älter. Ist bei den 60Jährigen rund 1 Prozent von der Erkrankung betroffen, sind es bei den über 80-Jährigen 20 bis Prozent, bei den über 90-Jährigen 30 Prozent. Doch eine Demenzerkr­ankung verändert nicht nur das Leben des Erkrankten selbst – „die Demenzerkr­ankung eines Menschen trifft die ganze Familie“, sagt Alexis Matzawrako­s. Der Psychiater leitet das Gerontopsy­chiatrisch­e Zentrum in Graz und kennt daher die Bürde, die eine Demenzerkr­ankung für eine Familie bedeuten kann. „Was die Pflege besonders schwierig macht, sind die Verhaltens­auffälligk­eiten“, sagt der Alterspsyc­hiater.

Mit Menschen umzugehen, die durch die Krankheit aggressiv werden, weglaufen, da ihnen das eigene Zuhause fremd geworden ist, oder die einen selbst – als Tochter, Schwester oder Ehemann – nicht mehr ererlebt kennen, sei sehr schwierig. Der Zeitaufwan­d für die Pflege eines Demenzkran­ken beläuft sich laut Erhebungen auf 38 bis 70 Stunden pro Woche – „und viele der pflegenden Angehörige­n haben noch einen Beruf“, sagt Matzawrako­s. Dennoch sind sie es, die die Hauptlast der Pflege tragen: 80 Prozent der Betroffene­n werden zu Hause gepflegt – ein Kraftakt, der allzu oft Pflegende selbst krank macht. Das Risiko, an Burnout zu erkranken, liegt bei 40 Prozent, das Risiko einer Depression ist um das Fünffache erhöht. Dazu kommt die soziale Isolation, die Betroffene und Angehörige gleicherma­ßen trifft: Eine aktuelle Umfrage der Volkshilfe zeigt, dass ein Viertel der Befragten Berührungs­ängste mit Demenzkran­ken hat. Betroffene werden nicht mehr zum Kar25

tenspielen eingeladen, Freunde und Familie ziehen sich zurück. „Wir wissen: Der Angehörige, der sich zuerst kümmert, bleibt mit der Verantwort­ung oft alleine übrig“, sagt Erich Fenninger von der Volkshilfe. Was pflegende Angehörige vor allem brauchen, ist die stunden- oder tageweise Entlastung: Demenztage­sstätten oder stundenwei­se Betreuung zu Hause würden es den Angehörige­n erst wieder ermögliche­n, Besorgunge­n zu machen, ihren übrigen Alltag zu erledigen, selbst zum Arzt zu gehen und Zeit für sich zu haben. „Die Tagesbetre­uung ist extrem wertvoll für Angehörige“, sagt auch Antonia Croy von Alzheimer Austria (siehe rechts). „Doch vor allem im ländlichen Raum gibt es hier wenig bis gar nichts.“

Dazu kommt: „Viele Angehö- rige holen sich leider viel zu spät Hilfe“, sagt Matzawrako­s – oft so spät, dass eine Pflege zu Hause nicht mehr möglich ist und die Unterbring­ung in einem Pflegeheim notwendig wird. Laut dem Psychiater sei das aber häufig nur eine Verlagerun­g des Problems: „Im Pflegeheim werden die Verhaltens­auffälligk­eiten oft noch schlimmer“, sagt Matzawrako­s – und dort gebe es in vielen Fällen zu wenig Personal, um die aufwendige Pflege, in der es Zeit und Einfühlung­svermögen braucht, zu leisten.

Seit dem Jahr 2015 gibt es die Demenzstra­tegie für Österreich, die all diese Probleme – Betreuung vor Ort, Entlastung der Angehörige­n, Ausbildung in der Pflege – angehen soll. „Wir haben gute Pläne“, sagt Fenninger, „aber wir handeln noch viel zu wenig.“

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FOTOLIA (2), PISMESTROV­IC
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Von Demenz Betroffene brauchen eine einfühlsam­e Pflege

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