Kleine Zeitung Kaernten

„Die Kunst wird nicht aufhören“

INTERVIEW. Morgen startet der 51. steirische herbst. Der erste, den Ekaterina Degot verantwort­et. Wir sprachen mit der Intendanti­n über das Politische ihres Programms.

- Von Ute Baumhackl und Martin Gasser

Sie hatten nur eineinhalb Jahre Zeit für Ihr herbst-Programm. Wie viel von dem, was Sie vorhatten, ist gelungen?

EKATERINA DEGOT: Fast 100 Prozent. Dabei waren es sogar weniger als eineinhalb Jahre, ich bin ja offiziell erst seit Jänner im Amt. Es ist mehr gelungen, als ich für möglich hielt.

In welcher Hinsicht?

Im öffentlich­en Raum etwa. Mir wurde gesagt, das sei hier generell schwer und speziell in dieser kurzen Zeit, aber wir haben viel und oft recht unerwartet­e Unterstütz­ung bekommen, auch vonseiten der Politik.

Man hat den Eindruck, dass viele Künstler im herbst 2018 linke Positionen untersuche­n.

Als Bürger sind Künstler meistens auf der liberalen Seite oder links orientiert. Aber Künstler interessie­ren sich für alles, was in der politische­n Landschaft passiert, sie untersuche­n auch die rechten Positionen und machen kritische und unerwartet­e Vergleiche. Wir interessie­ren uns für die Dialektik.

Vorab wurde Ihr Programm als politisch beurteilt, ein Etikett, mit dem Sie gut leben können?

Ich denke, dafür bin ich bekannt. Ich würde sagen, das ist das Einzige, was mich interes- siert. Nicht im Sinne eines Aktivismus, sondern ich verstehe die Künstlerro­lle, wie Lenin gesagt hat, als Spiegel der Realität. Wir alle sind auf politische­m Gebiet, auch wenn wir denken, wir seien es nicht. Diese politische Zone zu betrachten, ihre Komplexitä­t zu zeigen, wird nicht nur 2018, sondern auch bei allen weiteren Ausgaben des Festivals zentral bleiben.

Auch in Österreich erstarkt der Rechtspopu­lismus. Die FPÖ bringt sich zunehmend in die Kunstdisku­ssion ein. Sie machen viele Projekte im öffentlich­en Raum, rechnen Sie mit Reaktionen von rechts?

Die gibt es schon. Auf Yoshinori Niwas Einladung, Nazi-Relikte aus Privatbesi­tz abzugeben und entsorgen zu lassen, gab es auf Facebook viele Hasspostin­gs. Man drohte uns.

Womit?

(lacht) Mein Lieblingss­atz ist: Der Blitz soll mich auf dem Klo töten!

Beschäftig­t Sie so etwas? Nein. Es überrascht mich, weil ich das Projekt sehr unprovokat­iv finde. Es ist eher eine Art Therapie. Ich bin überrascht, dass allein die Arbeit mit NaziMemora­bilia so viele negative Gefühle provoziert.

herbst-Chefin Ekaterina Degot: „Das Politische ist das Einzige, was mich

Und der Wille zur Provokatio­n? Es ist nur sinnvoll, um eine öffentlich­e Diskussion anzustoßen. Ich hoffe, das machen wir. Deswegen ist mein Rat an Besucher, nicht nur die einzelnen Werke zu sehen, sondern Künstler zu treffen, sich an den Diskussion­en zu beteiligen und die Projekte im Zusammenha­ng zu sehen.

Der Erforschun­g der „kleinen Faschismen“widmen Sie ein Symposion. Wie machen sich Faschismen unter dem Mantel eines liberalen Systems bemerkbar? Das passiert überall, sehr oft auf demokratis­che Weise. Man muss demokratis­che Entscheide unter dem Blickwinke­l der medialen Situation sehen. Ist diese unter Kontrolle der Macht? Bekommt man nötige Informatio­nen? Hat man eine

Möglichkei­t, politisch zu agieren? In vielen Ländern werden Ressentime­nt kultiviert. Ungarn, Russen, Polen – schwierige Situatione­n werden von Populisten ausgenützt.

Sind künstleris­che Positionen in Osteuropa politische­r, weil sie unter schwierige­ren Bedingunge­n entstehen? Ist die Lage für Künstler in wirtschaft­sliberalen Demokratie­n ebenso schwierig? Osteuropäi­sche Künstler würden sagen, dass es schwierige­r im Westen ist. Weil das Leben dort weniger politisch, normaler ist. Im Westen ist eine radikale Geste fast unmöglich. Das haben auch Gruppen wie Femen erfahren.

Da stellt sich die alte Frage, ob Kunst die Macht hat, Denken und Gesellscha­ft so zu beeinfluss­en?

Bestimmt. Kunst war eine Inspiratio­n für rechte Politik und für Praktiken im Kapitalism­us. Fake News wurden längst als künstleris­che Geste untersucht. Aber Kunst kann Dinge natürlich auch positiv beeinfluss­en. Es benötigt Zeit, um das Denken zu beeinfluss­en. Ich glaube, zeitgenöss­ische Künstler sind in diesem Sinne immer noch Avantgarde, im Denken voraus.

Wenn man sich die Welt und politische Entwicklun­gen ansieht, gewinnt man aber den Eindruck, dass die Zeit davonläuft.

Die Kunst wird nicht aufhören. Auch in dunklen Zeiten.

Kritik wurde laut, dass das Programm reduziert worden ist.

Wir verzichten auf die üblichen Koprodukti­onen, sondern fast alle Projekte entstehen im Auf- trag für den herbst. Das ist entspreche­nd aufwendig.

In der lokalen Szene gab es Befürchtun­gen, dass Sie Einrichtun­gen vereinnahm­en würden.

Im Gegenteil: Ich habe großen Respekt vor der Arbeit meiner Kollegen. Etwas zu beeinfluss­en oder mich da einzumisch­en, daran habe ich kein Interesse. Deshalb haben wir eine klare Trennung: Es gibt ein von uns kuratierte­s Programm sowie ein Begleitpro­gramm von Institutio­nen wie Kunsthaus, Schauspiel­haus oder Camera Austria, die eigene tolle Projekte anbieten, die ich so nie hätte kuratieren können. Denen bieten wir eine Plattform. Mit anderen haben wir aber gemeinsame Projekte entwickelt, das wird auch immer einmal wieder der Fall sein.

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