Kleine Zeitung Kaernten

Sein Plan B

Nach einem Verwirrspi­el um seinen Rücktritt kündigt Christian Kern seine Kandidatur im EU-Wahlkampf an. Die SPÖ wusste von den Plänen ihres Chefs nichts. Bis Jahresende will sie einen Nachfolger finden.

- Von Michael Jungwirth, Antonia Gössinger, Claudia Gigler

Der Zeitpunkt kam völlig überrasche­nd. Einer der ranghöchst­en SPÖ-Spitzenpol­itiker konferiert­e gerade mit seinen Parteifreu­nden, als ihn um die Mittagszei­t ein SMS ereilte. „Wie von der Tarantel gestochen stand er auf und verließ fluchtarti­g den Raum“, schilderte ein Augenzeuge die Szene. „Kern geht ab“, raunte er zu seinem Mitarbeite­r, „ich muss nach Wien“, bestieg das Auto und brauste davon.

Bald danach machte in Wiener Journalist­enkreisen das Gerücht die Runde, Christian Kern werde bei einem vor Monaten mit den Landespart­eichefs fixierten Abendessen in einem Wiener Lokal den Rückzug von der Parteispit­ze verkünden. Ein ehemaliges Mitglied der KernRegier­ung erfuhr die Kunde aus den Medien. „Mir ist das völlig schleierha­ft“, gab er sich verwundert. „Wir haben ihn doch erst letzte Woche im Präsidium für den Parteitag nominiert.“ Am 6. Oktober sollte Kern als Parteichef in Wels wiedergewä­hlt werden. Seit gestern Abend ist völlig unklar, ob der Parteitag überhaupt stattfinde­t, geschweige denn, wer überhaupt zum Parteichef gewählt wird.

„Gelinde gesagt baff“zeigte sich Kärntens SPÖ-Vorsitzend­er und Landeshaup­tmann Peter Kaiser am Nachmittag. Bis 16 Uhr hatte Kaiser keine verbriefte Informatio­n über Kerns Pläne. Kaiser, der maßgeblich­er Königsmach­er von Kern war, hatte gegen Mittag aus dem Parlament die Gerüchte vernommen, dass Kern am Abend seinen Rücktritt bekannt geben werde. Danach führte Kaiser Dutzende Telefonate mit hochrangig­en SPÖ-Politikern. Allein, Christian Kern bekam er nicht zu einem ausführlic­hen Gespräch ans Telefon.

So konnte Kaiser am Nachmittag nur spekuliere­n, dass die Gründe für einen möglichen Rücktritt Kerns „im höchst privaten, persönlich­en Bereich“liegen dürften. Denn politische Gründe für einen Kern-Rücktritt gebe es keine, so Kaiser. „Im Gegenteil, er wird in der Partei gemocht“, verwies der Kärntner SPÖ-Chef auf das „Familienfe­st“seiner Partei am Wochenende, wo die über 1000 Teilnehmer „Kern wie einen Superstar herumgerei­cht haben“.

Vor 18 Uhr versammelt­en sich Journalist­en, Fotografen, Kameraleut­e vor der Parteizent­rale in der Löwelstraß­e. Bis zu dem

Zeitpunkt waren alle nur auf informelle Informatio­nen, die man unter dem Mantel der strengsten Verschwieg­enheit aus roten Insiderkre­isen erhalten hatte, angewiesen gewesen. Eine offizielle Bestätigun­g, eine Aussendung, ein offizielle­s Statement fehlten.

Dann trat Kern vor die Medien – und dem Vernehmen nach überrascht­e er auch so manchen SPÖ-Landespart­eichef und Gewerkscha­fter, die sich im Geheimen im RennerInst­itut im 12. Bezirk getroffen hatten: Kern kündigte seine Kandidatur für die EU-Wahl im Mai an, anschließe­nd werde er von der Parteispit­ze abtreten.

„Das ist eine Auseinande­rsetzung, die ich nicht als die Mutter aller Schlachten bezeichnen würde“, lieferte er als Erklärung nach „aber es ist eine besonders wichtige Auseinande­rsetzung, weil das Konzept einer liberalen, weltoffene­n Demokratie massiv herausgefo­rdert wird, von den Orbáns, Kaczyn´skis, Straches, Salvinis. Hier agieren Menschen, die die Abrissbirn­e gegen Europa einsetzen.“

Nachfragen waren keine erlaubt, die Journalist­en blieben verdutzt zurück. Im ORF-Sommergesp­räch hatte Kern Spekulatio­nen über einen Wechsel nach Brüssel noch als „Mumpitz“bezeichnet. Warum der plötzliche Sinneswand­el, warum er ohne Not die Partei so überrumple, wer ihm nachfolgen solle, ob eine europaweit­e Spitzenkan­didatur tatsächlic­h in Vorbereitu­ng sei? Kern verließ fluchtarti­g die Parteizent­rale, sprang ins Auto und kurvte davon. Nach einem Masterplan sah alles, was sich gestern abgespielt hat, nicht aus.

Kaiser war der erste SPÖ-Grande, der Kern in diesem Bestreben unterstütz­te – und blieb lange der Einzige. Im Laufe des Abends stellten sich schließlic­h auch die anderen Landespart­eichefs hinter den Kern-Plan. Fixiert wurde, dass noch im heurigen Jahr, nicht erst im Mai 2019, wie von Kern gewünscht, die Nachfolge fixiert wird. Kaiser ließ – als erster und einziger möglicher Nachfolge – am Nachmittag vermelden, dass er als Kern-Nachfolger nicht infrage komme. „Als Bundespart­eichef eine Fernbezieh­ung mit der Partei zu führen, das geht nicht“, so Kaiser.

Dass Kern nicht bis zum Ende die Legislatur­periode durchdiene­n würde, darüber waren sich Insider und politische Beobachter spätestens seit der Wahlschlap­pe einig. Kern wechselte von der Wirtschaft in die Politik, um Kanzler zu werden, die harte Opposition­sbank war nicht Teil seiner Karrierepl­anung. Dass er von einem 31-jährigen Jungpoliti­ker, der weder über eine vergleichb­are Lebensnoch Berufserfa­hrung verfügte, aus dem Kanzleramt geworfen wurde, schien er nie verwunden zu haben.

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AP, KÖSTINGER, APA
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MICHAEL JUNGWIRTH Auf der Flucht vor den Medien: Kern eilt zum Auto
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APA Überrascht­e Freund und Feind mit seinem Wechsel nach Brüssel: Christian Kern

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