Kleine Zeitung Kaernten

Die vielen Volten des Christian Kern

Manager, Kanzler, Opposition­schef, Europakand­idat: Wer ist der Mann, der sich zum Parteichef nominieren lässt und eine Woche darauf seinen Landespart­eichefs über die Medien mitteilt, er gehe als Spitzenkan­didat nach Brüssel?

- Von Thomas Götz

Für Überraschu­ngen war Christian Kern in den zweieinhal­b Jahren an der Spitze der SPÖ immer wieder gut. Kleine Überraschu­ngen im Vergleich mit dem gestrigen Paukenschl­ag, aber vielleicht doch symptomati­sche.

Wir erinnern uns an den höflich-kühlen ehemaligen Verbundund ÖBB-Manager, der plötzlich mit Feuer und Glut die Trägheit und Selbstbezo­genheit der Politik geißelte. 2016 war das. Die Politik seines Vorgängers, den die Partei kurz zuvor mit Trillerpfe­ifen vom Rathauspla­tz gejagt hatte, war da durchaus mitgemeint. Die des Koalitions­partners sowieso. Würden die Parteien so „machtverse­ssen und zukunftsve­rgessen“weitermach­en, wäre es nicht mehr weit bis zum Aufprall. Der Applaus war ihm sicher und er genoss ihn.

Dann kamen die Niederunge­n. Wie sollte sich der Manager, als der sich Kern verstand und gab, mit Ceta umgehen? Natürlich wusste er um die Bedeutung des Freihandel­sabkommens mit Kanada, ein klares Bekenntnis dazu aber verbat er sich vorsichtsh­alber. Eine halbherzig­e, nicht repräsenta­tive „Mitglieder­befragung“in der Partei musste ihm aus der Kalamität helfen.

Im Jänner 2017, kein Jahr

Wenn wir so weitermach­en mit einer Politik der Machtverse­ssenheit und Zukunftsve­rgessenhei­t, dauert es nur noch wenige Monate bis

zum Aufprall.

nach dem fliegenden Wechsel ins Kanzleramt, überrascht­e, ja brüskierte Kern den Koalitions­partner mit seinem „Plan A“– einer Mischung aus SPÖund ÖVP-Positionen, die sich wie das Wahlprogra­mm für einen nahen Urnengang lasen.

Wählen gehen wollte Kern dann aber doch nicht – ein strategisc­her Fehler, wie sich zeigen sollte. Er habe eben fürs Land arbeiten wollen, sein Widersache­r habe nur die eigene Macht im Blick, wird sich Kern später über seinen Fehler hinwegtrös­ten. Währenddes­sen wurstelte seine Koalition mit ein paar neuen Programmpu­nkten weiter, bis das Überraschu­ngsmoment verflogen war. Der nächste Coup blieb Sebastian Kurz vorbehalte­n. Wovor Kern zurückgesc­hreckt war – Neuwahlen –, er rief sie aus. Und nun lernte man Kern von einer anderen Seite kennen.

Der Versuch, die Interessen von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn zusammenzu­denken, wich scharfen Tönen. Immer wieder warnte Kern von den „Großkonzer­nen“, deren einen er selbst stolz geführt hatte, und malte das Schreckges­penst der Demontage des Sozialstaa­ts an die Wand. Mit knapper Not konnte Kern damit das Ergebnis seines vertrieben­en Vorgängers halten, die Nummer eins aber war für die SPÖ verloren. Eine Schmach für den Erfolgsver­wöhnten. Und wieder muss sich Kern neu erfinden.

Verbittert wirkte der Ent- thronte, wütend, dass ein junger Mann, den er unterschät­zt hatte, ihn bezwingen konnte. Langsam erst setzte sich die Erkenntnis durch, er und seine Partei könnten das Hauptthema des Wahlkampfe­s unterschät­zt haben. Wenige Tage vor dem gestrigen Coup erst legte die SPÖ das Ergebnis dieses Umdenkens vor, ein gemeinsame­s Programm zur Migration, das sich nur graduell von dem der Regierung unterschei­det.

Ganz angekommen in seiner Rolle als Opposition­schef schien Kern bis zuletzt nicht. Zeitungen rechneten ihm die Fehlstunde­n im Parlament vor, eine Waffe, die der Kanzler Kern einst gern gegen seinen ehrgeizige­n Außenminis­ter eingesetzt hatte. Die Sprache radikalisi­erte sich, erinnerte manchmal an die Tiraden eines Herbert Kickl; nicht im Inhalt, aber im Ton, im Grad der Überspitzu­ng.

Vielleicht war es von Anbeginn an die Sprache, die Kern zum Verhängnis wurde. Zu komplizier­t drückte er aus, was auch einfach zu sagen gewesen wäre. Doch den Verlust der Eleganz wollte der Stilist nicht riskieren. Der Preis war der Verlust eines Publikums, das die SPÖ zu ihrer Kernklient­el rechnet. Die verstanden die einfachen Sätze der Konkurrenz besser.

Nun sucht Kern eine Arbeit in Kreisen, die seine Rede verstehen, schätzen. Sofern ihm bis dahin nicht noch eine Volte in den Sinn kommt.

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PETAR PISMESTROV­IC Christian Kern

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