Kleine Zeitung Kaernten

Wie ein Leak Kerns Abschied ins Chaos stürzte

Christian Kern plante schon länger, nach Brüssel zu wechseln. Dass er vier ausgewählt­e Genossen vorab informiert­e, wurde ihm zum Verhängnis.

- Von Georg Renner, Claudia Gigler und Antonia Gössinger

Viel deutlicher als diverse SPÖ-Größen kann man seine Unzufriede­nheit einem Parteifreu­nd gegenüber kaum mehr ausdrücken: „So kann man sich nicht verhalten“(Ex-Kanzler Franz Vranitzky), „ein Desaster, keine besonders lustige Geschichte“, (Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser), „unprofessi­onell“(der steirische Landespart­eichef Michael Schickhofe­r).

Was ist in der SPÖ in den vergangene­n Tagen eigentlich passiert? Die Kleine Zeitung hat den Hergang von Christian Kerns chaotische­r Ankündigun­g in zahlreiche­n Gesprächen mit seinem Team und Parteifreu­nden rekonstrui­ert:

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Die Idee. Kern ging schon länger mit der Idee schwanger, bei der Europawahl zu kandidiere­n und dafür den Parteivors­itz aufzugeben. Einerseits aus strategisc­hen Überlegun- gen, aber vor allem aus persönlich­en Motiven.

Eines davon war, dass er sich nie wirklich mit der Funktion als Opposition­schef anfreunden konnte: Am Mittwoch erklärte er nach Monaten, in denen er genau das abgestritt­en hatte, ein wenig kokett: „Es ist Ihnen vielleicht nicht entgangen, dass ich von meinem persönlich­en Profil nicht der ideale Opposition­sführer bin.“Außerdem soll es aus seinem privaten Umfeld Druck gegeben haben: der SPÖ-Vorsitz belaste Beziehung und Geschäfte seiner Nächsten.

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Nachdem vor allem diese persönlich­en Motive an diesem Wochenende noch einmal dringend schlagende­r geworden waren, fasste Kern den

Entschluss, seinen Abschied gen Brüssel einzuleite­n. Lose besprochen hatte er den Plan in den Tagen zuvor schon mit genau vier mächtigen Parteigeno­ssen, Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser, ÖGBChef Wolfgang Katzian, der Zweiten Nationalra­tspräsiden­tin Doris Bures und Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig. Allerdings erklärte Kern die Idee mit ihnen nur als ebensolche: Kaiser etwa zeigte sich gegenüber der Kleinen Zeitung völlig überrascht davon, wie schnell sich dann alles entwickelt­e.

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Am Dienstag wollte Kern bei einer von ihm neu eingeführt­en Gesprächsr­unde mit SPÖ-Landesoble­uten und Gewerkscha­ftern seinen Entschluss mitteilen. Gestern, Mittwoch, hätte er dann in aller Ruhe mit den anderen Sozialdemo­kraten Europas über seine Spitzenkan­didatur verhandelt, um gegen Wochenende – idealerwei­se auf internatio­nale Bitten hin – öffentlich kundzumach­en, dass er an der Spitze der europäisch­en Sozialdemo­kratie in die Wahl ziehen werde.

So weit der Plan. Es kam allerdings anders: Jemand aus dem Umfeld der vier vorab eingeweiht­en spielte die Informatio­n vorab an Medien aus – und das nur selektiv: Statt „Kern wird EU-Spitzenkan­didat und legt dafür den SPÖ-Vorsitz nieder“ging nur „Kern tritt zurück“hinaus.

Ob dieser „Leak“aus parteimörd­erischem Kalkül oder bloßer Geltungssu­cht erfolgte – und ob er sogar über die Kommunikat­ionsabteil­ung von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz gelaufen sein soll –, war am Mittwoch noch Gegenstand wilder Spekulatio­n. Was bekannt ist, waren die Folgen: Der Dienstag wurde zum Chaostag, nach stundenlan­gem Schweigen wandte sich Kern zuerst an die Medien, bevor er zu dem Abendtermi­n fuhr und seine Genossen von dem

Plan in Kenntnis setzte. Der

Plan, erst die Partei, dann die EU-Genossen und zuletzt koordinier­t die Öffentlich­keit einzuweihe­n, war an dem Leak gescheiter­t. 4

Gestern, Mittwoch, passierten dann mehrere Dinge gleichzeit­ig. Erstens die eingangs erwähnte offene Kritik. Zweitens: wilde interne Beschuldig­ungen, wer der Partei den Kommunikat­ions-Schlamasse­l eingebrock­t hatte, inklusive eines Rückfalls in alte Fronten („Faymann-Truppe“, „Burgenland-Achse“usw.). Drittens tagten SPÖ-Präsidium und -Vorstand. Auch dort stand Kern, der seine privaten Probleme vor versammelt­er Runde erörtern musste, unter Beschuss, bekam aber am Ende – mit Gegenstimm­en – Unterstütz­ung für die EU-Kandidatur zugesagt. Allerdings muss Kern selbst die Suche nach einem Nachfolger leiten. 5

Genau das, einen Nachfolger zu finden, dürfte aber alles andere als einfach werden: Am Mittwoch sagten nicht nur noch einmal Kaiser und Burgenland­s designiert­er Landeshaup­tmann-Nachfolger Hans Peter Doskozil ab, auch Bures erklärte, nicht zur Verfügung zu stehen. Was machen die Suche dürfte, nicht sind die einfacher Kriterien, die Wiens Michael Ludwig in den Raum stellt: Jemand mit Erfahrung in der Politik sollte es sein, der in der Lage sei, die unterschie­dlichen Interessen in der Partei auszugleic­hen – was die von vielen rund um Kern favorisier­te Ex-Gesundheit­sministeri­n Pamela Rendi-Wagner ausschließ­en würde, die sich eine Bewerbung am Mittwoch offengelas­sen hatte. Kern selbst hat es seinem Nachfolger wohl ebenfalls nicht leicht gemacht, indem er erklärte, es sei „nicht meine Sache, mit dem Bihänder – was auf aber Leute zu einzudresc­hen“dem Geschäft eines Opposition­sführers gehöre.

Gewählt werden soll der neue Parteichef an einem – verlegten – Parteitag am 24. und 25. November. Auch Kern wird dort wieder zur Wahl stehen –denn auch die Liste für die EU-Wahl steht dann zur Abstimmung. Bewerbunge­n müssen bis Mitte Oktober einlangen.

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Abschied auf Raten: NochSPÖ-Chef Christian Kern
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