Kleine Zeitung Kaernten

Kern geht hohes Risiko ein

Wenn Christian Kern bei seinen europäisch­en Ambitionen Pech hat, zieht er als einfacher Abgeordnet­er ins EU-Parlament ein. Für fünf lange Jahre.

- Michael Jungwirth michael.jungwith@kleinezeit­ung.at

Schick den Opa nach Europa“, lautete noch das Motto in den Achtzigern. Damals wurden abgehalfte­rte Politiker nach Brüssel oder Straßburg weggelobt, um sich bis zur Pensionier­ung finanziell über Wasser zu halten. In Verkennung des europäisch­en Machtgefüg­es war das bei den Deutschen eine beliebte Praxis. Briten und Franzosen waren schlauer und dachten immer schon strategisc­her.

Das hat sich glückliche­rweise geändert, auch in Österreich. Susanne Riess, Maria Berger, Jörg Leichtfrie­d, Andrä Rupprechte­r, Elisabeth Köstinger begannen ihre Karriere in Europa und stiegen zu Ministern auf. Auch in der Verwaltung sitzen Leute, die wissen, wie die EU tickt. Nur so kann Österreich seinen Interessen zum Durchbruch verhelfen. Ein rotziges, flapsiges Gehabe garantiert Schlagzeil­en, keinen Erfolg.

Nun will Christian Kern nach Europa wechseln. Die Geschichte der turbulente­n Stunden von Dienstag muss erst geschriebe­n werden. Noch liegen nicht alle Details vor, um den einmaligen Alleingang, die Brüskierun­g der SPÖ-Granden nachzuzeic­hnen. Dass der Wechsel nach Europa nicht seiner Karrierepl­anung entsprang, ist bekannt. Die Kandidatur ist aus der Not geboren und die Folge eines innenpolit­ischen, innerparte­ilichen Scheiterns.

Dass sich Kern für Europa aufopfert, ist ihm hoch anzurechne­n und verdient keine Häme. Europa ist zu wichtig, um der zweiten Garnitur überlassen zu werden. Kern bringt intellektu­ell, politisch, argumentat­iv das Rüstzeug mit, um in die Schlacht zu ziehen. Man mag nicht alle Überzeugun­gen teilen, die Migrations­frage auf die soziale Frage zurückzufü­hren, ist eine unlautere Verkürzung. Kern weiß, was im österreich­ischen Interesse in Europa auf dem Spiel steht.

Man kann nur hoffen, dass sich Kern sein europäisch­es Abenteuer durchüberl­egt hat. Die Chancen stehen gut, dass sich die krisengesc­hüttelten EU-Sozialdemo­kraten auf einen Ex-Regierungs­chef verständig­en. Garantie gibt es keine. In dem überaus komplexen europäisch­en Geflecht entscheide­t nicht immer die Qualität oder die Logik, sondern oft die Arithmetik oder der faule S Kompromiss. elbst wenn Kern als europäisch­er Spitzenkan­didat in die EU-Wahl geht, ist das Ziel noch lange nicht erreicht. Fallen die Sozialdemo­kraten auf Platz drei zurück, ist denkbar, dass sich Volksparte­i und Liberale alle drei spannenden EU-Jobs (Kommission, Rat, Außenbeauf­tragte) untereinan­der ausmachen. Noch dazu, wenn die Sozialdemo­kraten über keine Fürspreche­r im Rat der Staats- und Regierungs­chefs verfügen, derzeit gehören nur fünf der 28 EU-Chefs der roten Parteienfa­milie an.

Dann bliebe Kern nur noch der Einzug ins EU-Parlament als einfacher Abgeordnet­er, vielleicht als Fraktionsv­orsitzende­r, als Chef eines Parlaments­ausschusse­s, als einer von Dutzend Vizepräsid­enten – für fünf Jahre. Wir werden sehen, ob Kern alles bis zum bitteren Ende durchgedac­ht hat.

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