Kaltschnäuzig, hartherzig, skandalös
Zumindest die unbegleiteten Minderjährigen sollen versorgt werden? Zumindest?
Sie haben sich ins Herz gebohrt, die Augen von Josefa, jener Afrikanerin, die im Mittelmeer in letzter Minute gerettet wurde. Eine Frau, die sich geweigert hatte, in jenes Boot zu steigen, das sie nach Libyen zurückgebracht hätte. Ihre Hoffnung, gerettet zu werden, hat sich erfüllt. Stundenlang hat sie sich an ein Brett geklammert, bevor sie von Rettern in ein Schlauchboot gezogen wurde. Und fotografiert wurde. Ein Foto, das ihre aufgerissenen, verängstigten Augen zeigen. Ein Foto könne mehr ändern als 100 Bücher, hat Neil Postman immer geraten. Es fällt schwer, angesichts solcher Augen sich vor ein Mikrofon zu stellen und kühl zu erklären, Migranten müssten in „Anlandezentren“zurückgeschickt werden. EUKommissionspräsident Juncker hat wiederum gestern Länder wie Ungarn aufgerufen, „zumindest unbegleitete Minderjährige zu versorgen“. Womit die Botschaft klar ist: Wer Flüchtlinge nicht aufnehmen will, ist hartherzig. Ist das so?
E in deutscher Soziologe hat jetzt gefordert, Fragen der Flucht und Migration nicht nur im Modus der Barmherzigkeit zu diskutieren. Denn es seien nicht die Schwächsten, die es nach Europa schaffen, sondern meist die Stärksten. Er wird recht haben, Josefa dürfte die Ausnahme sein. Eine Ausnahme wie Babys, die von Schleppern bevorzugt der Weltöffentlichkeit gezeigt werden. Josefa appelliert an unser Herz. Wie jedes verhungernde Kind. Aber über sie wurde beim EU-Gipfel nicht gesprochen. Das Gala-Essen hätte auch nicht mehr geschmeckt beim Gedanken, dass gleichzeitig Hunderte Kinder an den Folgen von Hunger starben. Alle fünf Sekunden eines. Sie schaffen es auf kein rettendes Schiff und keinen EUGipfel. Weil sie abseits von Kameras still und leise leiden und sterben. Sie sind kein Thema. Ja, das ist kaltschnäuzig, hartherzig, skandalös.