Fall Kern und die Transparenz
Pleiten, Pech und Pannen rund um den Abgang des SPÖ-Chefs sollten für Parteien wie Medien ein Wendepunkt sein.
Der Fall Kern ist ein Musterbeispiel dafür, wie das Tempodiktat der Digitalisierung jeden Beteiligten überfordert.
Das gilt für Absender, Vermittler wie Adressaten. Politik, Medien und Publikum leiden unter einer sinnentleerten Nutzung der neuen technischen Kommunikationsmöglichkeiten. Wenn dies nicht zu einer weiteren Beschädigung der für eine demokratische Gesellschaft notwendigen Abläufe führen soll, benötigt es vor allem eine inhaltsbezogene Entschleunigung.
Sowohl politische Kommunikation als auch traditionelle Medien sind auf dem Holzweg, wenn sie schneller als Social Media sein wollen. Der Tempowahn von Schwarmintelligenz bietet lediglich ideale Einflugschneisen für Desinformation. Auch für diese Form von parteilicher Kommunikation ist der Fall Kern prototypisch. Der Verräter in der SPÖ hatte die Tempokonkurrenz der Medien gut kalkuliert.
Ausgangspunkt und Folgewirkung waren nicht das Ergebnis mangelnder Professionalität, sondern falscher Priorität: Schnelligkeit vor Sicherheit. Jede Panne auf diesem Parcours senkt die Glaubwürdigkeit der Teilnehmer. Dabei genießen Parteien längst noch weniger Vertrauen als Social Media. Medien gelten als deutlich zuverlässiger. Deshalb stehen sie im Visier der Populisten.
Der Fall Kern sollte ein Wendepunkt sein, um wieder die Spreu vom Weizen zu trennen. Ein Ansatz dazu sind Entschuldigungen. Öffentliches Eingeständnis von Fehlern senkt nicht die Glaubwürdigkeit, sondern hebt sie. Noch wirkungsvoller ist, was Georg Renner von der Kleinen Zeitung auf Facebook gepostet hat: Unter „Das war kein Glanzlicht meiner Arbeit heute“schildert er detailliert seine vergangenen Stunden als Online-Redakteur und reflektiert, was er wie hätte besser machen können.
Das Echo auf sein Bekenntnis war überragend positiv. Totale Transparenz ist die bestmögliche Vertrauenssicherung – für Medien wie Parteien. So weit ist die SPÖ noch nicht. Sie hinkt aber auch nicht derart hinter der Botschaftskontrolle der ÖVP zurück, wie der Anlass vermuten ließ. Bis zu Kurz war die Kommunikation der Volkspartei mindestens so fehleranfällig wie jene der Sozialdemokratie.
Die viel zitierte Message Control der Regierung, wie große Unternehmen sie als Selbstverständlichkeit pflegen, ist in der Politik deshalb so selten, weil sie neben Selbstdisziplin straffe, autoritäre Hierarchien benötigt. Je demokratischer und individualistischer eine Partei intern agiert, desto weniger kann das extern funktionieren. Das Transparenzmodell ist eine erprobenswerte Alternative.