Über den Traum, das Einhorn zu reiten
Wie wird ein Start-up zum milliardenschweren Unternehmen, zum sogenannten Einhorn? Kann man Wundergründungen wie Airbnb oder Pinterest frühzeitig erkennen oder gar herbeizaubern?
Unicorns, Einhörner, werden Unternehmensgründungen mit einem Marktwert von mehr als einer Milliarde Dollar genannt. Treffender könnte man wohl kaum beschreiben, welchen zauberhaften Werdegang Start-ups wie der Online-Personenbeförderungsdienst Uber, der Unterkunftsvermittler Airbnb oder das soziale Netzwerk Pinterest genommen haben. Gibt es eine magische Formel für Einhörner? Und wie kann es gelingen, mehr davon hervorzubringen? Nachgefragt bei Nikolaus Franke, Akademischer Direktor der Executive Academy der Wirtschaftsuniversität Wien.
In der digitalen Wirtschaft kann heute in schwindelerregend kurzer Zeit Wert entstehen – besteht darin die Magie von Einhörnern?
NIKOLAUS FRANKE: Verschiedene Institutionen listen rund 300 Fälle auf, in denen der Wert von Start-ups innerhalb kurzer Zeit explosionsartig auf über eine Milliarde Dollar gestiegen ist. Uber etwa auf rund 70, die von Airbnb auf 30 Milliarden Dollar (Anm.: rund 60/25 Milliarden Euro). Im Vergleich: Die Marktkapitalisierung der drei wertvollsten österreichischen Unternehmen, OMV, Verbund und Erste Bank Group, beträgt je rund 15 Milliarden Euro. Natürlich beruhen die hohen Bewertungen der Start-ups auf Erwartungen künftiger Umsätze und Gewinne, die keineswegs sicher sind. Der Wert ergibt sich meist aus dem disruptiven Charakter ihres Geschäfts. Als schöpferische Zerstörer können sie neuartige Märkte schaffen und bestehende nachhaltig verändern.
Angenommen, ich stehe am Start, will die Welt erobern und bitte Sie als Experte, einen Blick auf mein Start-up zu werfen. Wüssten Sie gleich, ob es das Zeug hat, richtig groß zu werden, oder ob ich ein krankes Pferd reite?
Sicher weiß man es leider erst, wenn der Erfolg da ist. In den Phasen vorher gilt: Je früher die Prognose gemacht wird, desto größer die Unsicherheit – deshalb investieren Eigenkapitalfinanzierer lieber in Start-ups, die bereits am Markt sind, als in Teams, die nur eine Idee haben. Aber egal zu welchem Zeitpunkt: Bei jeder Bewertung gibt es eine gewisse Asymmetrie.
Was meinen Sie denn damit?
Negativprognosen sind viel sicherer als
Positivprognosen. Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Gründerteams Probleme bekommen, die keinen erkennbaren, einen sehr kleinen oder stark umkämpften Markt bedienen. Das Gleiche gilt für unausgereifte Produkte, fehlende Geschäftsmodelle oder ein einseitig qualifiziertes Team. Umgekehrt gibt es Fälle, da scheint alles zu passen – trotzdem enttäuscht das Startup. Trotz aller Mühe haben sich Markt, Technologie und Wett-
bewerb anders entwickelt als gedacht. Einhörner sind eben seltene Tiere.
Welche Bausteine braucht es, um ein Start-up zum Laufen, zum Galoppieren zu bringen – gibt es eine Hitliste des Erfolgs?
Im Kern ist es einfach: Man braucht ein Angebot, das besser ist als die Alternativen. Und es muss auf eine Nachfrage treffen, die möglichst groß ist. Das Problem des Start-ups ist, dass es kleiner ist und weniger Ressourcen hat als die bestehenden Unternehmen. Klassisch über Qualität oder Preis zu konkurrieren, wird hier schwierig.
Ist die Innovation also der zündende Faktor?
Man muss etwas ganz anderes machen als die anderen, um wirklich erfolgreich zu werden – es braucht ein neues Produkt, ein neues Geschäftsmodell oder einen neuen Prozess. Für das Finden der Innovation – die erste der beiden Kernaufgaben des Entrepreneurs – sind Kreativität, Offenheit und Flexibilität wichtig, um sie dann im Markt durchzusetzen. Für die zweite Aufgabe braucht man vor allem Energie, Geschwindigkeit und die Fähigkeit zur Vermarktung.
Muss man schon in der Schulzeit oder während des Studiums unternehmerisch denken bzw. ein Unternehmertyp sein, um ein Start-up erfolgreich zu machen?
Eine gewisse Persönlichkeitsstruktur muss man schon mitbringen, ein Teil der Potenziale ist tatsächlich genetisch angelegt. Aber man muss sie auch realisieren, dazu braucht man ein stimulierendes Umfeld. Wenn das früh passiert, in der Familie, in der Schule, ist das natürlich toll, und viele Entrepreneure fallen früh durch unternehmerische Aktivitäten auf. Es gibt aber auch viele erfolgreiche Gründer, die erst später aktiv werden. Im MBA haben wir beispielsweise viele erfolgreiche Manager, die nur davon geträumt haben, das eigene Start-up hochzuziehen – und sich ganz gezielt daran machen, diesen Traum zu verwirklichen.
Wann gehe ich denn am besten mit meiner Idee „hausieren“?
So früh wie möglich! Viele angehende Gründer machen den Fehler, dass sie ihr Vorhaben zu lang geheim halten. Sie haben Angst vor Imitation, und in gewisser Weise wollen sie „ihr Baby“schützen. In der Geschäftsidee steckt nun einmal viel Herzblut, Kritik und Skepsis tun weh. Aber man muss wissen, dass sich so gut wie jede Geschäftsidee im Gründungsprozess ändern muss. Dazu braucht man Feedback.
Mit wem sollte man am besten reden?
Mit potenziellen Kunden, Investoren, Kooperationspartnern und Mit-Gründern, mit Beratern – einfach mit allen, die helfen können, die Idee weiterzuentwickeln. Je früher und intensiver man das macht, desto schneller und erfolgreicher wird man sein. Im Vergleich dazu ist das Risiko vor Ideenklau deutlich kleiner.
Was ist nun also das Geheimnis des Erfolgs, das ein Start-up zum Einhorn macht?
Zu Einhörnern werden die Startups, die sehr viel mehr richtig als falsch gemacht haben – sie haben das richtige Marktangebot zum richtigen Zeitpunkt. Im Prozess gehen sie strategisch und professionell vor, nutzen konsequent ihre Chancen. Sie setzen kompromisslos auf Wachstum und maximalen Erfolg, schützen sich durch effektive Markteintrittsbarrieren vor Konkurrenz, solange sie klein und verwundbar sind.
Das versuchen natürlich viele.
Was dazukommen muss, ist natürlich Glück. Der Markt, den sie eröffnet haben, muss sich gut entwickeln, es darf keine überraschende Konkurrenz auftreten, die Zulieferer müssen ihr Übriges leisten, das eigene Angebot muss funktionieren, es darf nicht zum Streit unter den Teammitgliedern kommen – es gibt viele Dinge, die man nicht planen kann.
Stichwort Social Media – steckt hinter jedem erfolgreichen Start-up ein Netzwerkeffekt?
Von einem Netzwerkeffekt sprechen wir, wenn der Nutzen, den der einzelne Kunde hat, mit der gesamten Zahl der Kunden des Produktes steigt. Ein Telefon nutzt mir erst was, wenn andere auch Telefone haben, sonst kann ich niemanden anrufen. In der digitalen Ökonomie spielen Netzwerkeffekte in der Tat eine sehr große Rolle. Der enorme Wert von Facebook, Uber oder Airbnb kommt nicht von ihren Patenten, Technologien oder Maschinen, sondern von der Tatsache, dass sie jeweils einen riesigen Kundenstamm haben, der solche Netzwerkeffekte ermöglicht. Damit kann man einen Marktvorsprung oft besser verteidigen als mit Patenten und Schutzrechten. Aber natürlich gibt es auch Start-ups, die sich auf andere Weise schützen, beispielsweise mit Geschwindigkeit und Innovation.