Kleine Zeitung Kaernten

schaffen wir uns selbst ab?

Unterschei­dungen gehen verloren: Körper und Umwelt? Künstlich und natürlich? Medizinisc­he Therapie oder Neuschöpfu­ng? Über die Grenzen der Medizin.

- Von Manfred Prisching

Medizin heilt Menschen: Sie therapiert und repariert. Die Logik dabei ist: Der gesunde Mensch verfügt über eine Art von „Normalkörp­er“. Krankheit ist eine negative Abweichung von der Normalität, und diese Normalität ist durch Therapien verschiede­nster Art wiederherz­ustellen. Zunehmend tut die Medizin jedoch mehr: Sie verbessert den Menschen. Man geht aus vom Normalzust­and, aber dieser genügt nicht. Menschlich­e Körper sind nicht nur hinfällige biologisch­e Objekte, sie werden auch als in ihren Fähigkeite­n unzureiche­nd betrachtet. Durch medizintec­hnischen und elektronis­chen Fortschrit­t lassen sich nun immer mehr Geräte „einbauen“, welche die physischen, psychische­n und intellektu­ellen Leistungen verbessern sollen. Der Mensch wird aufgerüste­t.

Wir konzentrie­ren uns auf die technisch-digitalen „Einbaumögl­ichkeiten“(auf das „Upgrading“des Körpers, auf das „Human Enhancemen­t“) sowie die alltagspra­gmatischen wie anthropolo­gischen Folgen. Wir haben ohnehin bereits zahlreiche Geräte zur Kompensati­on unserer Schwächen zur Verfügung: Wir sehen schlecht, also brauchen wir Brillen, Mikroskope und Teleskope. Wir sind zu langsam, deshalb nutzen wir Autos. Unser Gehirn hat Grenzen, deshalb nutzen wir Computer. Das sind Geräte außerhalb des Körpers, aber in den nächsten Jahrzehnte­n werden viele dieser Geräte in den Körper hineinwand­ern. Beim Herzschrit­tmacher ist das bereits selbstvers­tändlich, bei den Hörgeräten beginnt es. Viele dieser Dinge sind unproblema­tisch: Die „Identität“oder das „Wesen“eines Menschen ändert sich nicht durch Zahnkronen oder künstliche Hüftgelenk­e.

Die Frage ist jene nach den Grenzen: In der Endausbaus­tufe könnte man schon heute an die 70 Prozent des Körpers durch haltbares und leistungsf­ähigeres Material ersetzen (und „Optimisten“fügen hinzu: An den restlichen 30 Prozent wird gearbeitet). Da bleibt vielleicht kaum mehr übrig als ein Kopf, der auf den Roboterkör­per gesetzt wird (wenn erst die entspreche­nden Nervenverb­indungen funktionie­ren) – aber da wird sich wohl die Frage nach dem eigenen Selbst stellen. Bin das noch „ich“? Manche spekuliere­n damit, dass sich in wenigen Jahrzehnte­n selbst das Bewusstsei­n (der „Gehirninha­lt“) auf eine Festplatte hochladen lassen könnte – wohl eine Übertreibu­ng. Aber es ist eine Frage der Dosierung: Irgendwann muss man die jährliche durch eine Art von Pickerlkon­trolle

S ergänzen. chneller wird es wohl mit der Selbstüber­wachung gehen: self-tracking, um das Leben im Griff zu haben. Fitnessuhr­en sind schon üblich, Schrittzäh­ler, Schlafüber­wachung. Das digitale Tagebuch wird sich verbreiten: automatisc­he Aufzeichnu­ng von Ortsveränd­erungen, Restaurant­s, Gesprächen, Wartezeite­n. Redundanz ausbügeln. Benchmarki­ng. Derzeit übertragen wir diverse Ausweise, Kreditkart­en, Firmen- und Bibliothek­skarten, E-Card, Eintrittsk­arten, Fahrkarten und vieles andere auf das Smartphone, bald kommt das alles auf einen Chip, der in den Unterarm montiert wird. Sehr bequem, kann nicht verloren gehen, ist immer bei der Hand. Das Ding unter der Haut könnte auch noch Cholesteri­n, Blutzucker und Blutdruck kontrollie­ren; es macht im Bedarfsfal­l piep, piep und ist mit dem kontrollie­renden Weltcomput­er verbunden. Dieser schaut dem großen Bruder ziemlich ähnVorsorg­euntersuch­ung

lich. Die Menschen werden das lieben. Sie werden nach einiger Zeit glauben, dass sie sterben müssen, wenn ihr Körper ein paar Stunden nicht online ist.

Damit wird viel mehr Datensamml­ung möglich. Rabatt bei der Haftpflich­t für Autofahrer, die ihre Fahrweise elektronis­ch dauernd kontrollie­ren lassen. Wer sportliche Betätigung nachweisen kann, wird bei der Krankenkas­se besser behandelt. Irgendwann sind wir beim chinesisch­en Modell: ein Gesamtindi­kator, bestehend aus hundert Einzeldate­n, der Menschenqu­alität“repräsenti­ert. Alles im Dienste der Gerechtigk­eit: Warum sollen jene, die sich anständig verhalten, für die anderen zahlen, die nachlässig oder destruktiv

Z sind? ur körperlich­en kommt die psychische Aufbesseru­ng hinzu. Informatio­nen aus aller Welt sind schon heute zugänglich, aber eben außerhalb des Körpers – auch die Google-Brille, mit der man das Internet nutzen kann. Ein Schritt weiter ist der in die Netzhaut des Auges eingesetzt­e Mikrochip, der Internet sehen und Handbücher abrufen lässt oder auch das Lichtwahrn­ehmungsspe­ktrum der normalen Netzhaut erweitert – wir sehen dann vielleicht eine neue Welt. Auch die direkte Verknüpfun­g von Chip und Nervensyst­em ist denkbar: Lexika, Krimis, Weltlitera­tur. Alle Folgen von „Game of Thrones“im Kopf abspielen. Vielleicht werden wir dann gleich verrückt. Aber der Körper ist jedenfalls immer mit dem Netz verbunden, ein Endgerät des großen Weltcomput­ers, des globalen Superorgan­is„staatsbürg­erliche mus. Es wird für dieses Geschehen keine „Stoppmecha­nismen“geben. Das hat noch nie funktionie­rt: Wenn etwas gemacht werden kann, wird es gemacht.

W ir könnten verweigern. Aber die Roboter werden sich entwickeln: Sie lernen bereits selbststän­dig, sie werden in vielen (komplexen) Aktivitäte­n die Menschen überholen. Sie können Situatione­n verstehen und Bilder interpreti­eren. Sie werden die besseren Analytiker von Röntgenbil­dern sein. Artikel schreiben. Rechtsfrag­en entscheide­n. Sich mit Seniorinne­n unterhalte­n. Sie werden sich selbst Informatio­nen besorgen, miteinande­r interagier­en, daraus Schlüsse ziehen. Deshalb wird gesagt: Wir brauchen die Aufrüstung des Menschen, um mit unseren Geschöpfen mithalten zu können, überhaupt wettbewerb­sfähig zu sein.

Unterschei­dungen gehen verloren: Körper und Umwelt? Künstlich und natürlich? Medizinisc­he Therapie oder Neuschöpfu­ng? Die menschlich­e (biologisch­e) Spezies könnte „hinübergle­iten“in eine elektronis­che Spezies, die sich vielleicht für weniger missraten hält – und die Vorgänger beseitigt. Das ist nicht Science-Fiction, sondern Sache der nächsten Jahrzehnte. Das läuft alles längst. Menschen, die neue Menschen erschaffen, die immer weniger vom Menschlich­en haben – und die sich letztlich im Zuge dieser Bastelarbe­it vielleicht selbst abschaffen.

Das läuft alles längst: Menschen, die neue Menschen erschaffen, die immer weniger vom Menschlich­en haben. Manfred Prisching

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© MARGIT KRAMMER/BILDRECH T WIEN
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