Religion ist Privatsache – wirklich?
Ist Religion tatsächlich, wie die in weiten Kreisen gültige Haltung, reine Privatsache? Nein, daher der Versuch einer Differenzierung. Als mit dem Staatsgrundgesetz 1867 die Glaubensfreiheit normiert wurde, war das ein Meilenstein der Emanzipation des Einzelnen und der Entwicklung der bürgerlichen Rechte. Die Form der Ausübung der Religion hatte keinen Einfluss auf den Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte. Dies ist ein Prinzip der rechtlichen Verfasstheit.
Dennoch ist Religion unabhängig vom individuellen (Er-)Leben des Glaubens immer öffentliche Angelegenheit – weil das Zusammenwirken von Gläubigen, ihre Treffen, ihre Aktivitäten das öffentliche Leben in der Republik mitprägen und Religionen das Sinngerüst der Gesellschaft mittragen. So unterstützt das christlich geprägte Österreich Religionsausübung, beschert religiösen wie nicht religiösen Menschen Feiertage, Sonntagsruhe, sogar ein paar werbefreie Tage im ORF.
Es gibt legitimes Interesse daran, Religionsangelegenheiten staatlich zu regeln – siehe Islamgesetz, Konkordat mit dem Vatikan und in Folgeregelungen mit anerkannten Religionsgemeinschaften. Religionen müssen dabei zur Kenntnis nehmen, dass der Staat um aller Menschen Willen Normen setzt, die den Werten und Ansichten Einzelner wie auch von Religionsgemeinschaften widersprechen können. Privat ist aber nicht geheim. Darüber reden ob, warum, warum nicht, was oder wie man glaubt, ist ein wichtiger Teil des Dialoges zu Werten und Normen unseres Landes. Unerlässlich ist die Kapazität, zuzuhören, wenn ein Gegenüber Auskunft über innere Momente von Gläubigkeit gibt.
Religion ist unabhängig vom individuellen (Er-)Leben des Glaubens immer eine öffentliche Angelegenheit.
Im ganzen Staat sind Gespräche zu Fragen des Religiösen wichtig. Weil sich politische Öffentlichkeit und Religion stets in einem unaufhebbaren Spannungsverhältnis befinden. „Religionen handeln von Wahrheiten, Politik handelt von Interessen. Interessen sind nicht wahrheitsfähig, Wahrheiten sind nicht mehrheitsfähig.“(Norbert Lammert). Der Preis dafür ist, dass Gläubige und Nichtgläubige, politische Verantwortliche und Religionsführende durch das Nadelöhr des Nachdenkens durchgehen. Unserem Lande wird es wohltun.